Schon immer haben Buddhisten
(Buddhistinnen hingegen eher selten) in Deutschland ihre Meinung
zu gesellschaftlichen Themen veröffentlicht. Manches ist
auch heute noch bedenkenswert, manches ist - zurecht - der Vergessenheit
anheim gefallen. Aber auch das, was man lieber vergisst, gehört
zum Buddhismus in Deutschland. - Der folgende Artikel stellt einige
dieser gesellschaftspolitischen Äußerungen vor. - Ich
beziehe mich dabei auf Texte, auf die ich im Archiv der Buddhistischen
Gesellschaft Hamburg gestoßen bin. Da ich mich an den Artikel-Überschriften
orientiert habe, habe ich möglicherweise die eine oder andere
Äußerung übersehen. - 1933 wurde Adolf Hitler
zum Reichskanzler ernannt. Das Verhalten von Buddhisten und Buddhistinnen
während des Faschismus war - und ist noch immer - ein Tabuthema.
Ich gehe nicht auf den Zeitraum 1933 - 1945 ein - nicht, um das
Tabu zu wahren, sondern weil mir eine gründliche Befassung
mit dem Thema mehr Platz benötigt, als hier zur Verfügung
steht.
Karl Seidenstücker:
Pazifist und Vegetarier
Karl Seidenstücker sieht
im Buddhismus nicht mehr ein philosophisches System der Weltverneinung,
sondern eine zukunftsweisende Lebenslehre. 1905 stellt er den
Buddhismus dem Christentum gegenüber:
Der Buddhismus geht in
seinem Metta weiter als das Christentum in seiner Liebe, weil
er das Metta 1. in Glaubenssachen als Toleranz nachdrücklichst
proklamiert, und 2. dasselbe auf die gesamte empfindende Welt,
auf Mensch und Tier, ausgedehnt wissen will.
Dass sich metta, das Mitgefühl,
auf die gesamte empfindende Welt, auf Mensch UND Tier bezieht,
ist für Seidenstücker ein wichtiger Aspekt:
1903 veröffentlicht er unter
dem Pseudonym Bruno Freydank unter dem Titel Die
Greuel der christlichen Zivilisation die fiktiven Briefe
eines buddhistischen Lama aus Tibet, in denen er u.a. gegen
Viehschlächterei und Vivisektion Stellung bezieht.
Wolfgang Bohn: Staatserhaltender, arischer Buddhismus
Ein anderer der frühen deutschen
Buddhisten war Wolfgang Bohn, der auch unter dem Pseudonym Vasettho
schrieb. Bohn schreibt 1910:
Drei grosse Reformgedanken
für unsere Zeit umfasst die buddhistische Ethik:
• Den Gedanken der Alkoholenthaltsamkeit, so nötig
in unserer trunkenen Welt,
• den Gedanken der Duldsamkeit und Güte, den wir
auf allen Gebieten - religiösen, politischen und sozialen
so sehr brauchen,
• den Gedanken der Einheit allen Lebens, die ethische
Konsequenz des Darwinismus, wenn ich so sagen darf, mit ihren
Folgerungen: Tierschutz, Tierliebe, Hilfe für die Tiere.
Im gleichen Jahr veröffentlicht
Bohn in der Buddhistischen Welt den Artikel Buddha
und die soziale Frage. Er schreibt:
Die Stellung Buddhas zur
Frage der Kasten seiner Zeit ist gleichbedeutend mit der Stellung
Buddhas zur Rassenfrage, ja zur sozialen Frage überhaupt.
Die Kastenordnung war ursprünglisch eine Schutzwehr, hinter
der das kleine aus dem Norden gekommene, weisse arische Volk
sich gegen das Eindringen des schwarzen dravidischen Blutes
verteidigte. Es gibt Forscher, welche den Buddha als eine Art
sansculotten seiner Zeit hinstellen und ihn, je nach dem eigenen
Standpunkt, beschuldigen oder preisen, als habe er die Grenzen
der Kasten ausgetilgt und die heilsame Rassenhygiene der Arier
zunichte gemacht.
…
Oldenburg bestreitet der Wahrheit zuliebe ganz entschieden,
dass Buddha so etwas wie ein sozialer Reformator gewesen sei,
der die Kastenfesseln gesprengt habe. Buddha lag jeder Gedanke
an eine Reform des Staates und der Gesellschaft durchaus fern.
… Für ihn war die Stellung im gesellschaftlichen
Leben bestimmt durch die Schuld oder das Verdienst früherer
Leben.
…
Buddha predigte, dass man kein lebendes und fühlendes Wesen
verletzen sollte. Der Zug von Güte war es, dem die Bedrückten
nachgingen. Die Härten, die er für unmenschlich und
willkürlich hielt, wollte er ausgeschaltet wissen. Aber
nie und nirgends finden wir den semitisch-demokratischen Satz
"jedem das gleiche". Vielmehr lehrte der Buddha sehr
bestimmt: "jedem das Seine".
Der Buddhismus hat sich
… überall, wo er hinkam. durchaus als staatserhaltend
bewährt, als konservativ im besten arischen Sinne des Wortes.
…
Gerechtigkeit: d.h. jedem das seine, ist arische und auch buddhistische
Auffassung: Gerechtigkeit, d.h. jedem das gleiche ist revolutionäre
Auffassung. Erstere bringt den Frieden und die vernünftige
Entwicklung mit sich, wenn sie getragen ist vom Geiste buddhistischer
Güte und Sanftmut. Die andere Auffassung aber bedeutet
die Revolution, den unablässigen Kampf gegen ein Naturgesetz,
das auch ein Gesetz der geistigen Welt ist: gegen das Gesetz
der Ungleichheit der Individuen, Stände, Völker und
Rassen gemäss dem Karma aus früheren Lebensläufen,
für das jeder die Verantwortung allein trägt.
Felix Kuth: Aus quälender Ungleichheit zu wohltuender
Gleichheit
Aber bereits zu seiner Zeit blieb
die Auffassung von Bohn nicht unwidersprochen: Felix Kuth setzt
sich mit Buddhismus und Sozialismus auseinander und sagt:
Im Ganzen … ist in
den Vasettho'schen Arbeiten wohl ein bemerkenswerter Ansatz
zur Erörterung der sozialpolitischen Bedeutung des Buddhismus
gemacht, aber der Schwerpunkt der ganzen Angelegenheit scheint
hier doch noch nicht mit voller Schärfe hervorgehoben zu
sein. Es kommt hinzu, dass sich Vasettho als ausgesprochener
Rassentheoretiker bekennt, eine Stellungnahme, durch die er
sich vielleicht selbst den Weg zur fruchtbarsten Betrachtung
der Dinge etwas versperrt hat.
Kuth selbst vertritt folgende
Ansicht:
In einer Welt, in der kein
Ding sich selber auch nur die Spanne eines Augenblicks hindurch
gleicht, in der mit betäubender und ermüdender Hast
eine Erscheinung die andere ablöst, in der im eigentlichsten
Sinne des Wortes nichts beständig ist als der Wechsel -
wie ist da Raum für irgend welche apriori gegebene Gleichheit?
… Freilich es ist ebenso wenig Raum vorhanden für
eine starre unveränderliche Ungleichheit, wie sie etwa
der Brahmanismus in der Urverschiedenheit der Kasten angenommen
hat. … Weder gibt es eine angeborene absolute Gleichheit,
noch eine angeborene absolute Ungleichheit. Um sozialpolitisch
zu sprechen: vor dem buddhistischen Forum haben weder die reaktionören
Ansichten derjenigen Bestand, die sich noch gern in den Träumen
ererbter Standesvorrechte wiegen, noch die phantastischen Utopien
gewisser Sozialisten, die mit dem Begriff angeborener, naturrechtlicher
Gleichheit ihr leichtfertiges Spiel treiben. Auch hier hat die
Weisheit Buddhas "den mittleren Weg" gefunden.
…
Dem Zustand allgemeiner menschlicher Gleichheit, der als Ideal
dem Sozialismus vorschwebt und wohl auch ein wirkliches Idal
sein mag, einer glücklichen, menschenwürdigen Gleichheit
nähert sich nur derjenige, der mehr oder minder "die
edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens" begriffen
hat.
…
Den Zustand der Gleichheit also wird die Menschheit keinesfalls
erreichen durch gewaltsame, politische Massnahmen, nicht durch
Gesetze und Verordnungen, überhaupt nicht durch Ereignisse
von außen her! In sich selbst muss jeder Einzelne die
Kraft suchen, um sich aus der Unruhe in die Ruhe, aus quälender
Ungleichheit in wohltuende Gleichheit zu retten.
Fast prophetisch wirkt, was Kuth
zwei Jahre vor Beginn des 1. Weltkrieges sagt:
Die moderne Diplomatie
hält es mit Recht für ihr wichtigstes Amt, den Völkerfrieden
zu bewahren; um dieses Ziel aber zu erreichen, umgibt sich jeder
Staat mit einer möglichst starken Waffenrüstung. Man
versucht ferner den Frieden zu schützen durch Bündnisse,
die jede Partei in der Absicht schliesst, sie bei nächster
Gelegenheit zu brechen. Mit der Diplomatie parallel versuchen
einige Friedensgesellschaften durch glänzende Kongresse
und langatmige Reden der Kriegsgefahr entgegenzutreten, und
endlich glaubt der moderne Sozialismus durch internationale
Verbrüderung der Arbeitermassen eine Bürgschaft für
den ewigen Frieden gewinnen zu können. Wie die Erfahrung
zeigt, sind das alles Kartenhäuser, die bei der ersten
chauvinistischen Erregung irgendeiner Nation, bei jedem beliebigen
wirtschaftlichen Gegensatz oder sonst infolge von tausend Zufälligkeiten
zusammenbrechen. Erst wenn die Staaten selbst von friedlich-philosophischem,
religiösen Geist beseelt sein werden, wenn sie es verstehen
lernen, ihre Völker mit dem gleichen Geist zu erfüllen,
wird der Boden geschaffen sein, auf dem - vielleicht! - die
Blüte eines wahren Völkerfriedens gedeihen kann.
Paul Dahlke: Selbstverantwortlichkeit und Mitverantwortlichkeit
Paul Dahlke ist der Auffassung,
"daß wirklicher Buddhismus stets auch angewandter
Buddhismus ist, aus innerer Notwendigkeit heraus es sein muß;
daß der Buddhist zu allen Fragen und Problemen der Zeit
Stellung nehmen muß," und er fügt hinzu,
"daß er dieses nicht tut als Parteigänger,
um über sie und um sie zu streiten, sondern als stiller aber
entschlossener Denker."
Im Frühjahr 1918 schreibt
Dahlke:
Kennzeichen und Blüte
aller wahren Kultur ist die Toleranz, die Duldung. Und diese
wieder ist die Fähigkeit, sich in den Standpunkt des Anderen
zu versetzen, wobei dann ein jeder unschwer erkennen wird, daß
auch den Anderen das treibt, was ihn selber treibt: die Selbstsucht.
Kehrt das "Liebet eure Feinde" um in "Lernt eure
Feinde verstehen", und ihr werdet dem Weltfrieden mehr
dienen als mit dem energischsten Pazifismus.
Kurz vor dem Ende des 1. Weltkrieges
formuliert Dahlke in dem Artikel Weltfriede und Buddhismus:
Friede ist nur ein Symptom.
Jedes Symptom ist vieldeutig. Friede kann Ausdruck kriegrischer
Gesinnung sein, wie die Stille des Taifunzentrums Ausdruck der
wütenden Sturmgewalt, Friede muß friedlich sein,
soll er Wert haben.
Soll mehr Beruhigung, Befriedigung,
Friedlichkeit in die Welt einziehen, so muß der Wirklichkeitsgehalt
des inneren Lebens erhöht werden. (…) Notwendigstes
für den künftigen Weltfrieden sind nicht neue Formen,
sondern neues Denken.
Selbstverantwortlichkeit
und Mitverantwortlichkeit sind das humanitäre Rüstzeug
des Buddhisten. Erstere zwingt ihn, an sich selber zu arbeiten,
mit jenem stillen, aber unablässigen, magnetischen Zwang
wie ihn eben nur eine Selbsterkenntnis ausüben kann. Und
letztere zwingt ihn zu zeigen, geduldig immer wieder zu zeigen,
was er selber erkannt und im Erkennen gewonnen hat: Mitleid
mit der Welt ist hier keine bloße Gefühlsregung,
sondern das Bewußtsein der Mitverantwortlichkeit und des
Mit-Leidens.
Aus diesem Bewußtsein heraus
äußert sich Dahlke auch zu ökonomischen Fragen:
Der Regel nach ist der
Reiche der größte Egoist. Niemand hat eine größere
Ehrfurcht vor dem Reichtum als er selber. Zweck des Staates
ist für ihn letzten Grundes der, daß er Nährboden
für eine möglichst ungestörte Kapitalbildung
ist. Und die Heiligkeit des Staates beruht für ihn darauf,
daß er der Wächter in diesem seinem Heiligtum ist
und alle geistigen Bestrebungen so leitet, daß sie das
Ansetzen des Kapitals unterstützen oder zum mindesten doch
möglichst wenig stören.
Kurt Fischer: Die wirkliche Lösung der sozialen Frage
Doch wie geht ein Buddhist mit
der ungleichen Einkommensverteilung um? Kurt Fischer, ein Schüler
von Dahlke, schreibt 1933:
Die soziale Frage, das
heißt praktisch: die Frage der Verteilung der materiellen
Lebensgüter unter die Menschen besteht nicht erst seit
heute und gestern. Sie hat immer bestanden.
…
Wenn der Buddhismus, wie er behauptet, Wirklichkeitslehre ist,
so muß er auch eine wirkliche Lösung des sozialen
Problems geben. Und er gibt sie.
…
Das erste und wichtigste ist, daß der Mensch lernt, sich
mit seinem Los abzufinden, daß er nicht nach dem Besitz
und nach Genüssen strebt, die er bei anderen sieht, und
daß er keinesfalls dem anderen den Besitz zu rauben trachtet.
(…)
Auf der anderen Seite verpflichtet aber Besitz. Wer nur danach
trachtet, seinen Besitz zu größern und zu sichern,
statt auch andere, die wenig oder nichts besitzen, daran in
geeigneter Weise teilnehmen zu lassen, der ist ebenso schuldig,
wenn nicht schuldiger als der, welcher ihm sein Besitz zu rauben
trachtet
Gewiß gibt es viel
Elend in der Welt. Deshalb sagt der Buddha: (…) das Leiden
überwiegt. Eben deshalb zeigt er uns den Weg, der uns herausführt
aus der Welt, aus dem Leben und somit aus dem Leiden, und an
jedem einzelnen allein liegt es, ob er dem Buddha folgen will,
um auf diese Weise das soziale Problem ein für allemal
zu lösen.
Dieser Artikel erschien in der
Ausgabe 1/2004 von Buddhismus aktuell, der Zeitschrift
der Deutschen Buddhistischen Union
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Die Quellen-Nachweise zu diesem
Artikel finden sich hier.
Ein ausführlicher Vortrag
zu diesem Thema findet sich hier.
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