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Gesellschaftspolitische Äußerungen von Buddhisten in Deutschland von 1903 - 1933

 

Schon immer haben Buddhisten (Buddhistinnen hingegen eher selten) in Deutschland ihre Meinung zu gesellschaftlichen Themen veröffentlicht. Manches ist auch heute noch bedenkenswert, manches ist - zurecht - der Vergessenheit anheim gefallen. Aber auch das, was man lieber vergisst, gehört zum Buddhismus in Deutschland. - Der folgende Artikel stellt einige dieser gesellschaftspolitischen Äußerungen vor. - Ich beziehe mich dabei auf Texte, auf die ich im Archiv der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg gestoßen bin. Da ich mich an den Artikel-Überschriften orientiert habe, habe ich möglicherweise die eine oder andere Äußerung übersehen. - 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Das Verhalten von Buddhisten und Buddhistinnen während des Faschismus war - und ist noch immer - ein Tabuthema. Ich gehe nicht auf den Zeitraum 1933 - 1945 ein - nicht, um das Tabu zu wahren, sondern weil mir eine gründliche Befassung mit dem Thema mehr Platz benötigt, als hier zur Verfügung steht.

Karl Seidenstücker: Pazifist und Vegetarier

Karl Seidenstücker sieht im Buddhismus nicht mehr ein philosophisches System der Weltverneinung, sondern eine zukunftsweisende Lebenslehre. 1905 stellt er den Buddhismus dem Christentum gegenüber:

Der Buddhismus geht in seinem Metta weiter als das Christentum in seiner Liebe, weil er das Metta 1. in Glaubenssachen als Toleranz nachdrücklichst proklamiert, und 2. dasselbe auf die gesamte empfindende Welt, auf Mensch und Tier, ausgedehnt wissen will.

Dass sich metta, das Mitgefühl, auf die gesamte empfindende Welt, auf Mensch UND Tier bezieht, ist für Seidenstücker ein wichtiger Aspekt:

1903 veröffentlicht er unter dem Pseudonym Bruno Freydank unter dem Titel Die Greuel der christlichen Zivilisation die fiktiven Briefe eines buddhistischen Lama aus Tibet, in denen er u.a. gegen Viehschlächterei und Vivisektion Stellung bezieht.


Wolfgang Bohn: Staatserhaltender, arischer Buddhismus

Ein anderer der frühen deutschen Buddhisten war Wolfgang Bohn, der auch unter dem Pseudonym Vasettho schrieb. Bohn schreibt 1910:

Drei grosse Reformgedanken für unsere Zeit umfasst die buddhistische Ethik:
• Den Gedanken der Alkoholenthaltsamkeit, so nötig in unserer trunkenen Welt,
• den Gedanken der Duldsamkeit und Güte, den wir auf allen Gebieten - religiösen, politischen und sozialen so sehr brauchen,
• den Gedanken der Einheit allen Lebens, die ethische Konsequenz des Darwinismus, wenn ich so sagen darf, mit ihren Folgerungen: Tierschutz, Tierliebe, Hilfe für die Tiere.

Im gleichen Jahr veröffentlicht Bohn in der Buddhistischen Welt den Artikel Buddha und die soziale Frage. Er schreibt:

Die Stellung Buddhas zur Frage der Kasten seiner Zeit ist gleichbedeutend mit der Stellung Buddhas zur Rassenfrage, ja zur sozialen Frage überhaupt. Die Kastenordnung war ursprünglisch eine Schutzwehr, hinter der das kleine aus dem Norden gekommene, weisse arische Volk sich gegen das Eindringen des schwarzen dravidischen Blutes verteidigte. Es gibt Forscher, welche den Buddha als eine Art sansculotten seiner Zeit hinstellen und ihn, je nach dem eigenen Standpunkt, beschuldigen oder preisen, als habe er die Grenzen der Kasten ausgetilgt und die heilsame Rassenhygiene der Arier zunichte gemacht.

Oldenburg bestreitet der Wahrheit zuliebe ganz entschieden, dass Buddha so etwas wie ein sozialer Reformator gewesen sei, der die Kastenfesseln gesprengt habe. Buddha lag jeder Gedanke an eine Reform des Staates und der Gesellschaft durchaus fern. … Für ihn war die Stellung im gesellschaftlichen Leben bestimmt durch die Schuld oder das Verdienst früherer Leben.

Buddha predigte, dass man kein lebendes und fühlendes Wesen verletzen sollte. Der Zug von Güte war es, dem die Bedrückten nachgingen. Die Härten, die er für unmenschlich und willkürlich hielt, wollte er ausgeschaltet wissen. Aber nie und nirgends finden wir den semitisch-demokratischen Satz "jedem das gleiche". Vielmehr lehrte der Buddha sehr bestimmt: "jedem das Seine".

Der Buddhismus hat sich … überall, wo er hinkam. durchaus als staatserhaltend bewährt, als konservativ im besten arischen Sinne des Wortes.

Gerechtigkeit: d.h. jedem das seine, ist arische und auch buddhistische Auffassung: Gerechtigkeit, d.h. jedem das gleiche ist revolutionäre Auffassung. Erstere bringt den Frieden und die vernünftige Entwicklung mit sich, wenn sie getragen ist vom Geiste buddhistischer Güte und Sanftmut. Die andere Auffassung aber bedeutet die Revolution, den unablässigen Kampf gegen ein Naturgesetz, das auch ein Gesetz der geistigen Welt ist: gegen das Gesetz der Ungleichheit der Individuen, Stände, Völker und Rassen gemäss dem Karma aus früheren Lebensläufen, für das jeder die Verantwortung allein trägt.


Felix Kuth: Aus quälender Ungleichheit zu wohltuender Gleichheit

Aber bereits zu seiner Zeit blieb die Auffassung von Bohn nicht unwidersprochen: Felix Kuth setzt sich mit Buddhismus und Sozialismus auseinander und sagt:

Im Ganzen … ist in den Vasettho'schen Arbeiten wohl ein bemerkenswerter Ansatz zur Erörterung der sozialpolitischen Bedeutung des Buddhismus gemacht, aber der Schwerpunkt der ganzen Angelegenheit scheint hier doch noch nicht mit voller Schärfe hervorgehoben zu sein. Es kommt hinzu, dass sich Vasettho als ausgesprochener Rassentheoretiker bekennt, eine Stellungnahme, durch die er sich vielleicht selbst den Weg zur fruchtbarsten Betrachtung der Dinge etwas versperrt hat.

Kuth selbst vertritt folgende Ansicht:

In einer Welt, in der kein Ding sich selber auch nur die Spanne eines Augenblicks hindurch gleicht, in der mit betäubender und ermüdender Hast eine Erscheinung die andere ablöst, in der im eigentlichsten Sinne des Wortes nichts beständig ist als der Wechsel - wie ist da Raum für irgend welche apriori gegebene Gleichheit? … Freilich es ist ebenso wenig Raum vorhanden für eine starre unveränderliche Ungleichheit, wie sie etwa der Brahmanismus in der Urverschiedenheit der Kasten angenommen hat. … Weder gibt es eine angeborene absolute Gleichheit, noch eine angeborene absolute Ungleichheit. Um sozialpolitisch zu sprechen: vor dem buddhistischen Forum haben weder die reaktionören Ansichten derjenigen Bestand, die sich noch gern in den Träumen ererbter Standesvorrechte wiegen, noch die phantastischen Utopien gewisser Sozialisten, die mit dem Begriff angeborener, naturrechtlicher Gleichheit ihr leichtfertiges Spiel treiben. Auch hier hat die Weisheit Buddhas "den mittleren Weg" gefunden.

Dem Zustand allgemeiner menschlicher Gleichheit, der als Ideal dem Sozialismus vorschwebt und wohl auch ein wirkliches Idal sein mag, einer glücklichen, menschenwürdigen Gleichheit nähert sich nur derjenige, der mehr oder minder "die edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens" begriffen hat.

Den Zustand der Gleichheit also wird die Menschheit keinesfalls erreichen durch gewaltsame, politische Massnahmen, nicht durch Gesetze und Verordnungen, überhaupt nicht durch Ereignisse von außen her! In sich selbst muss jeder Einzelne die Kraft suchen, um sich aus der Unruhe in die Ruhe, aus quälender Ungleichheit in wohltuende Gleichheit zu retten.

Fast prophetisch wirkt, was Kuth zwei Jahre vor Beginn des 1. Weltkrieges sagt:

Die moderne Diplomatie hält es mit Recht für ihr wichtigstes Amt, den Völkerfrieden zu bewahren; um dieses Ziel aber zu erreichen, umgibt sich jeder Staat mit einer möglichst starken Waffenrüstung. Man versucht ferner den Frieden zu schützen durch Bündnisse, die jede Partei in der Absicht schliesst, sie bei nächster Gelegenheit zu brechen. Mit der Diplomatie parallel versuchen einige Friedensgesellschaften durch glänzende Kongresse und langatmige Reden der Kriegsgefahr entgegenzutreten, und endlich glaubt der moderne Sozialismus durch internationale Verbrüderung der Arbeitermassen eine Bürgschaft für den ewigen Frieden gewinnen zu können. Wie die Erfahrung zeigt, sind das alles Kartenhäuser, die bei der ersten chauvinistischen Erregung irgendeiner Nation, bei jedem beliebigen wirtschaftlichen Gegensatz oder sonst infolge von tausend Zufälligkeiten zusammenbrechen. Erst wenn die Staaten selbst von friedlich-philosophischem, religiösen Geist beseelt sein werden, wenn sie es verstehen lernen, ihre Völker mit dem gleichen Geist zu erfüllen, wird der Boden geschaffen sein, auf dem - vielleicht! - die Blüte eines wahren Völkerfriedens gedeihen kann.


Paul Dahlke: Selbstverantwortlichkeit und Mitverantwortlichkeit

Paul Dahlke ist der Auffassung, "daß wirklicher Buddhismus stets auch angewandter Buddhismus ist, aus innerer Notwendigkeit heraus es sein muß; daß der Buddhist zu allen Fragen und Problemen der Zeit Stellung nehmen muß," und er fügt hinzu, "daß er dieses nicht tut als Parteigänger, um über sie und um sie zu streiten, sondern als stiller aber entschlossener Denker."

Im Frühjahr 1918 schreibt Dahlke:

Kennzeichen und Blüte aller wahren Kultur ist die Toleranz, die Duldung. Und diese wieder ist die Fähigkeit, sich in den Standpunkt des Anderen zu versetzen, wobei dann ein jeder unschwer erkennen wird, daß auch den Anderen das treibt, was ihn selber treibt: die Selbstsucht. Kehrt das "Liebet eure Feinde" um in "Lernt eure Feinde verstehen", und ihr werdet dem Weltfrieden mehr dienen als mit dem energischsten Pazifismus.

Kurz vor dem Ende des 1. Weltkrieges formuliert Dahlke in dem Artikel Weltfriede und Buddhismus:

Friede ist nur ein Symptom. Jedes Symptom ist vieldeutig. Friede kann Ausdruck kriegrischer Gesinnung sein, wie die Stille des Taifunzentrums Ausdruck der wütenden Sturmgewalt, Friede muß friedlich sein, soll er Wert haben.

Soll mehr Beruhigung, Befriedigung, Friedlichkeit in die Welt einziehen, so muß der Wirklichkeitsgehalt des inneren Lebens erhöht werden. (…) Notwendigstes für den künftigen Weltfrieden sind nicht neue Formen, sondern neues Denken.

Selbstverantwortlichkeit und Mitverantwortlichkeit sind das humanitäre Rüstzeug des Buddhisten. Erstere zwingt ihn, an sich selber zu arbeiten, mit jenem stillen, aber unablässigen, magnetischen Zwang wie ihn eben nur eine Selbsterkenntnis ausüben kann. Und letztere zwingt ihn zu zeigen, geduldig immer wieder zu zeigen, was er selber erkannt und im Erkennen gewonnen hat: Mitleid mit der Welt ist hier keine bloße Gefühlsregung, sondern das Bewußtsein der Mitverantwortlichkeit und des Mit-Leidens.

Aus diesem Bewußtsein heraus äußert sich Dahlke auch zu ökonomischen Fragen:

Der Regel nach ist der Reiche der größte Egoist. Niemand hat eine größere Ehrfurcht vor dem Reichtum als er selber. Zweck des Staates ist für ihn letzten Grundes der, daß er Nährboden für eine möglichst ungestörte Kapitalbildung ist. Und die Heiligkeit des Staates beruht für ihn darauf, daß er der Wächter in diesem seinem Heiligtum ist und alle geistigen Bestrebungen so leitet, daß sie das Ansetzen des Kapitals unterstützen oder zum mindesten doch möglichst wenig stören.


Kurt Fischer: Die wirkliche Lösung der sozialen Frage

Doch wie geht ein Buddhist mit der ungleichen Einkommensverteilung um? Kurt Fischer, ein Schüler von Dahlke, schreibt 1933:

Die soziale Frage, das heißt praktisch: die Frage der Verteilung der materiellen Lebensgüter unter die Menschen besteht nicht erst seit heute und gestern. Sie hat immer bestanden.

Wenn der Buddhismus, wie er behauptet, Wirklichkeitslehre ist, so muß er auch eine wirkliche Lösung des sozialen Problems geben. Und er gibt sie.

Das erste und wichtigste ist, daß der Mensch lernt, sich mit seinem Los abzufinden, daß er nicht nach dem Besitz und nach Genüssen strebt, die er bei anderen sieht, und daß er keinesfalls dem anderen den Besitz zu rauben trachtet. (…)
Auf der anderen Seite verpflichtet aber Besitz. Wer nur danach trachtet, seinen Besitz zu größern und zu sichern, statt auch andere, die wenig oder nichts besitzen, daran in geeigneter Weise teilnehmen zu lassen, der ist ebenso schuldig, wenn nicht schuldiger als der, welcher ihm sein Besitz zu rauben trachtet

Gewiß gibt es viel Elend in der Welt. Deshalb sagt der Buddha: (…) das Leiden überwiegt. Eben deshalb zeigt er uns den Weg, der uns herausführt aus der Welt, aus dem Leben und somit aus dem Leiden, und an jedem einzelnen allein liegt es, ob er dem Buddha folgen will, um auf diese Weise das soziale Problem ein für allemal zu lösen.

 

 

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 1/2004 von Buddhismus aktuell, der Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union

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Die Quellen-Nachweise zu diesem Artikel finden sich hier.

Ein ausführlicher Vortrag zu diesem Thema findet sich hier.

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