Am 4.
November, zwei Monate vor seinem 80. Geburtstag, verstarb Bernie
Glassman, einer der Pioniere des sozial engagierten Buddhismus
im Westen.
Bernie Glassman begann in den 1960er
Jahren in Los Angeles mit der Praxis von Zazen. Unter der
Leitung von Taizan Maezumi Roshi empfing er eine gründliche,
japanischen Formen folgende Ausbildung. 1976 erhielt er die
Bestätigung der Dharma-Weitergabe. 1980 gründete er die
Zen-Community of New York
und
wenige Jahre später die
Greyston Bakery,
um Arbeitsplätze für die Mitglieder seiner Sangha zu schaffen.
Schon bald öffnete er das Unternehmen für Arbeitslose, denen es
ein training on the job
bot. Nach dem Tod seines Lehrers löste sich Glassman Roshi von
den traditionellen Formen und entwickelte neue Praxismodelle,
mit denen er die buddhistische Praxis um soziales Engagement
erweiterte.
Grundlegend für seine Arbeit war die
Erkenntnis, die auch schon Buddha hatte, dass alles Leben eine
Einheit bildet. Nichts und niemand ist von dieser Einheit
ausgeschlossen, aber nur wenige erfahren und leben sie bewusst.
Um die Erfahrung der Einheit zu erleichtern, entwickelte er
plunges,
Situationen, die es erfordern, alles
Wissen loszulassen, sich zu öffnen und in Unbekanntes
einzutauchen. Indem man sich für das öffnet, was hier und jetzt
ist, und sich als Teil dieses größeren Ganzen erfährt, entstehen
Handlungsmöglichkeiten, die auf das Wohl des Ganzen gerichtet
sind.
Bernie Glassman verließ den begrenzten
Bereich des Meditationsraumes und entfaltete Aktivitäten in
verschiedenen Gebieten: Er erweiterte die
Greyston Bakery
zur Greyston Foundation,
die nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Wohnraum,
Kinderbetreuung, Versorgung an Aids-Erkrankter, Fortbildung und
spirituelle Begleitung anbietet.
Mit der Gründung der
Zen-Peacemakers
schuf er ein Mandala, das auf überkonfessioneller Ebene sozial
und spirituell engagierte Menschen weltweit verbindet.
Von dem Bodhisattva-Ideal getragen,
das die Befreiung vom Leid zum Ziel hat, brachte er
Zen-Praktizierende an Orte des Leidens. In den jährlich
durchgeführten
Bearing-Witness-Retreats im
ehemaligen KZ Auschwitz werden die Teilnehmenden mit dem Leid
konfrontiert, das durch die Ausgrenzung des Anderen entsteht, in
den Straßen-Retreats,
begegnen sie dem Leid direkt vor ihrer eigenen Haustür. Diese
Begegnung ist kein Selbstzweck, sondern ermöglicht, indem sie
den Blick verändert, neue Handlungsweisen, die eigenes und
fremdes Leid verringern.
Die
Erkenntnis, dass man im Zen zwar lernt zu schweigen, nicht
jedoch, wie man einander wirklich zuhört, führte Bernie Glassman
dazu, in die Retreats Zuhör-Kreise zu integrieren und so den
Einzelnen Raum zu geben, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Neben die verbindende Kraft der Stille tritt die verbindende
Kraft der Sprache, die vom Herzen kommt.
Bei all dem
vergaß er nicht, dass auch Heiterkeit und Freude Teil eines
ganzheitlichen Lebens sind. Es war Bernie Glassman wichtig, über
die verbissene Ernsthaftigkeit hinauszugehen, die er selbst im
Zen erfahren und gelebt hatte. So wurde die rote Nase des Clowns
zu seinem Markenzeichen.
Bernie Glassman wurde 1939 als Sohn
jüdischer Immigranten in Brooklyn geboren. Auch wenn er sich dem
Zen-Buddhismus zuwandte und in überkonfessionellen Kontexten
bewegte, blieb er doch immer dem Judentum verbunden. Eines der
Ziele der Persönlichkeitsbildung im Judentum ist es, dass man
sich zu einem mentsh
entwickelt. In einem Interview erläuterte Bernie Glassman diesen
Begriff:
„Für mich ist ein
mentsh
jemand, der ganz natürlich für andere arbeitet. Nicht getrennt
von den anderen, sondern ganz natürlich, kümmert er sich um
andere und handelt, ohne dass er sich als Handelnden sieht. Er
handelt ohne Ehrgeiz, ohne dass ein Selbst beteiligt ist. Er
macht etwas einfach deshalb, weil es getan werden muss.“
Heinz-Jürgen Metzger