Als
ich heute morgen an das Thema der sechs Paramita dachte, habe ich
mir gesagt, dass Leute, die wie ihr Zazen praktizieren, bereits
sehr oft von ihnen gehört haben und dass die Tatsache, dass
ich erneut davon spreche, euch wenig bringen würde. Dennoch
sind die Paramita, selbst wenn man sie auswendig kennt, selbst wenn
man sie oft studiert hat, sehr schwer zu praktizieren. Das lässt
mich an Hakurakuten denken, einen Laien, der Meister Dori fragte,
was die Essenz des Buddha-Dharma sei. Der Meister antwortete: „Einfach
vermeiden, Schlechtes zu tun, und das Gute praktizieren.“
Der Laie sagte: „Aber das ist kindlich, selbst ein Vierjähriger
weiß das.“ Dori antwortete: „Klar, aber selbst
einem Achtzigjährigen fällt es schwer, das zu praktizieren.“
Für die Paramita – die Praxis der Gabe, der Gebote,
der Geduld, der Bemühung, der Meditation und der Weisheit
– gilt das gleiche. Wenn wir den Geist Buddhas nicht verraten
wollen, der sich realisiert, wenn wir wirklich in Zazen sind –
mit einem Geist, der keine Erwartungen mehr hegt und sich völlig
in der Praxis von Zazen vergisst –, wenn wir nicht wollen,
dass dies eine flüchtige Erfahrung bleibt, sondern wollen,
dass unser ganzes Leben Ausdruck davon wird, dann ist es erforderlich,
die Paramita zu praktizieren. Das ermöglicht es, aus unserem
ganzen Leben die Praxis des Zen zu machen, d.h. ein wirklich erwachtes
Leben, in Einklang mit dem, was wir in der Tiefe sind, mit dem
wirklichen religiösen Geist, von dem Jean-Pierre Faure gesprochen
hat.
Einige Meister haben ein bestimmtes Paramita für wichtiger
gehalten als andere. Für Eno, den 6. Patriarchen, war Prajna
Paramita, die Praxis der Weisheit, die es ermöglicht, die
Leerheit all unserer geistigen Konstrukte zu sehen und darüber
hinaus zu gehen, die Grundlage aller anderen Praktiken im Dojo
und im Alltag. Ohne diese intuitive Weisheit, die es uns ermöglicht,
die Leerheit zu sehen und den Geist des Anhaftens abzuschneiden,
können alle anderen Praktiken leicht zu Täuschungen
werden.
Meister Hyakujo dagegen, der dritte Nachfolger von Eno, war der
Auffassung, dass das Fuse, die Gabe, das wesentlichste Paramita
ist, um den Zen-Weg zu durchdringen. Er sagte: „In der Praxis
der Gabe sind alle anderen Praktiken vollendet, denn geben bedeutet
loszulassen, sich vom Dualismus aller Gegensätze zu befreien:
von gut und schlecht, von sich selbst und den anderen, von der
Leerheit und den Erscheinungsformen.“ All dies ist in der
Praxis des Fuse, der Gabe, aufgegeben, unter der Bedingung, dass
sie im Geist von Mushotoku geschieht, d.h. ohne eine Gegenleistung
oder irgendeinen Verdienst zu erwarten.
Menzan schließlich, der das Jijuyuzanmai geschrieben hat,
betrachtete Zazen selbst als die wesentlichste Praxis, da alle
anderen Praktiken Zazen entspringen, wie Äste und Blätter
von der Baumwurzel abstammen. Im Soto-Zen besteht die Tendenz,
nur Zazen als wesentlich anzusehen. Alles andere muss sich aus
ihm heraus „unbewusst, natürlich und automatisch“
entwickeln, wie man oft sagt.
Mir scheint es so zu sein, dass die Praxis der sechs Paramita
letztlich etwas Zusammengehöriges ist, das man nicht trennen
kann. Es ist nicht erforderlich, einen Dualismus zu schaffen,
indem man sich sagt: „Nur dieses Paramita ist wichtig, die
anderen sind es nicht.“
Wir werden die Paramita jetzt näher betrachten und sehen,
wie uns die Tatsache, sich der Praxis der Paramita im Dojo zu
erinnern, helfen kann, eine Verbindung zwischen Zazen und dem
Alltag herzustellen und so unsere Praxis kohärent und vollständig
zu machen. Ich werde also ein Paramita nach dem anderen untersuchen
und schauen, wie es in unserem Leben funktionieren kann.
Die Gabe ist eine sehr wichtige Praxis im Dojo. Wenn man nicht
möchte, dass das Zen zu einer Technik des Wohlbefindens wird,
wie man es genannt hat, ist es sehr wichtig, dass die Praktizierenden,
die in ein Dojo kommen, dies nicht tun, um von dort etwas mitzunehmen.
Das ist natürlich paradox, denn warum kommt man anfangs in
ein Dojo, wenn man nicht davon motiviert ist, dass man Unterweisungen
über Zen gehört hat und denkt, dass es gut ist, dass
man diesem Weg folgen und praktizieren soll. Meister Deshimaru
unterwies Mushotoku: „Ihr dürft nichts suchen, ihr
dürft nicht ins Dojo kommen, um etwas mitzunehmen, nicht
einmal die Verdienste von Zazen.“ Zugleich lehrte er unablässig
die Verdienste von Zazen. Ich finde, dass heute, nach ihm, eine
gewisse Scham vorhanden ist, die Verdienste von Zazen zu benennen,
so als wäre es Häresie zu sagen, dass Zazen gut ist,
dass es gute Wirkungen im Leben hervorruft. Ich meine, dass man
die beiden Dimensionen nicht trennen soll: Es gibt die relative
Dimension, in der Zazen Verdienste und Wirkungen erzeugt. Aber
diese Wirkungen entstehen nur wirklich, wenn wir unsere Gier aufgeben.
Denn das Hauptverdienst von Zazen ist es, uns von diesem Geist
zu befreien, der immer etwas erhalten möchte.
Das ist natürlich nicht einfach. In einem Dojo sind z.B.
viele Leute oft sehr aufopferungsbereit und wollen helfen. Das
ist eine Form der Praxis des Fuse. Man ermutigt die Leute, Samu
zu machen, ihre Mitgliedsbeiträge zu bezahlen, dem Dojo Zeit
zu geben, auf alle möglichen Arten zu helfen. Aber diejenigen,
die auf diese Weise geben, bemerken sehr oft nach einiger Zeit,
dass sie in Wirklichkeit Anerkennung erwarten, für das gemocht
werden wollen, was sie tun. Wenn sie diese Anerkennung oder eine
Art von Beförderung, eine höhere Verantwortung im Dojo
nicht erhalten, fühlen sie sich nicht anerkannt. Nicht zu
sprechen von denen, die, wenn sie ihrer Aufgabe nachkommen, statt
eines Lobs kritisiert werden, z.B.: „Das war nicht so gut,
das könnte besser sein.“ Manchmal sieht man in den
Dojos Leute, die wegen so etwas völlig zusammenbrechen. Das
bedeutet wirklich, dass der Geist des Fuse nicht realisiert ist,
d.h. dass es nicht wirklich ein erwartungsloses Geben ist. Selbstverständlich
ist es Aufgabe der Unterweisenden, der Verantwortlichen, diesen
Geist immer wieder in Erinnerung zu rufen. Meister Deshimaru fand
z.B., wenn wir glaubten, gut geworden zu sein, etwas verstanden
zu haben, das Mittel, um uns in Frage zu stellen. Seine Belehrung,
die er oft auf die Kyosakus kalligrafierte, war „maku mozo“:
„Täuscht euch nicht über eure Praxis.“
Ein anderer Aspekt der Gabe ist das Teilen. Letztlich gibt man,
um zu teilen. Wenn wir praktizieren, erlangen wir die Verdienste
von Zazen, wir verwirklichen eine tiefe Erfahrung in unserem Leben,
die uns motiviert weiterzumachen. Das kann man nicht für
sich behalten. Der Geist des Gebens im Dojo besteht also darin,
diese tiefe Erfahrung der Praxis von Zazen mit den anderen zu
teilen. Das beseelt die Bodhisattvas. Und wenn das erste Gelübde
darin besteht, all seine Hilfe allen Wesen zu geben, um ihnen
zu helfen, sich zu befreien, so ist dies die Praxis des Gebens.
Zugleich muss man aber realisieren, das man letztlich nichts geben
kann. Unser eigenes Ego kann nicht helfen. Es ist offensichtlich
ein Irrtum, sich zu sagen: „Ich praktiziere das Fuse, ich
mache Samu, ich gebe all meine Energie, ich helfe den Menschen,
ich erziehe sie.“
Meister Eno sagte: „Nicht ich rette irgend jemanden. Ich
kann nicht und niemanden retten. Die Wesen können nur durch
ihre eigene Natur gerettet werden.“
Weil sie schon immer Buddha-Natur sind, können die Wesen
gerettet, befreit werden, indem sie diese Dimension berühren,
die schon immer in jedem von uns existiert. Die Gabe, die wir
geben können, besteht also darin, uns die Möglichkeit
zu geben, das zu realisieren, und den anderen ebenfalls die Möglichkeit
dazu zu bieten. Aber das bin nicht ich. Darin steht die Dimension
des Fuse wirklich im Herzen unserer Praxis. Durch das Loslassen
kann man hoffen aufzuhören, das zu verraten, was wir in der
Tiefe sind, und uns selbst, der wahren Dimension unseres Lebens,
wirklich treu zu werden.
Die zweite Praxis der Paramita sind die Gebote, die während
der Bodhisattva-Ordination weitergegeben werden. Man kann sie
als einen Führer für unser Leben ansehen, als ein Licht,
das unser Verhalten im Alltag erhellt, als eine Art, in Einklang
mit unserer Buddha-Natur zu leben, also als etwas, dem zu folgen,
das zu respektieren und dessen zu erinnern man sich bemüht.
Aber offenkundig besteht die wahre Dimension der Gebote nicht
darin, sich zu zwingen, Regeln und Geboten zu befolgen. Es geht
darum, auf eine Weise zu leben, dass die Gebote nicht mehr nötig
sind, indem man einen Bewusstseinszustand realisiert, in dem es
nicht mehr möglich ist, zu töten, zu stehlen, zu lügen,
usw.. Das Ideal unserer Praxis ist es, dass die Gebote überflüssig
werden. Aber weil wir weit entfernt von dieser Realisation sind,
begleiten uns die Gebote während unserer Praxis.
Und jedes Gebot selbst ist eine Praxis der Erwachens. Z.B. bedeutet
das Gebot „Nicht töten“ selbstverständlich
kein Leben zu nehmen. Aber auf einer tieferen Ebene geht es darum,
in sich selbst nicht die authentische Dimension unserer Existenz
zu vernichten, d.h. nicht die Buddha-Dimension in uns zu töten.
Wie können wir handeln, damit unsere Praxis diese Dimension
nicht verliert, unsere Praxis, die darin besteht, dem Buddha-Geist,
der in jedem von uns ist, Leben zu geben? Das geht weit über
uns hinaus, denn in unserer modernen Welt, die völlig vom
Materialismus beherrscht wird, sind die Religionen in ihren Praktiken
und von den Institutionen, die sie instrumentalisiert haben, derart
verraten worden, dass man sagen kann, dass der religiöse
Geist getötet worden ist. Nietzsche hat gesagt: „Gott
ist tot.“ Offenkundig ist Gott nicht gestorben, aber Gott
oder Buddha beseelen nicht mehr das Leben der meisten von uns.
Damit ist eine wichtige Dimension unseres Lebens getötet
worden. Das Gebot „Nicht töten“, bedeutet, dem
wieder Leben zu geben, was die Grundlage des Lebens aller Wesen
ist.
Natürlich bedeutet „Nicht stehlen“ nichts zu
nehmen, was uns nicht gehört. Das ist ein Verbot, das im
Strafgesetzbuch steht. Aber „Nicht stehlen“ ist das
größte Koan, denn was kann mir wirklich gehören?
Wenn man realisiert, dass nichts uns gehört, nicht einmal
unser Körper, der wieder zu Staub wird, dann bedeutet es
zu erwachen, wenn man tief das Gebot „Nicht stehlen“
realisiert. Aber selbst wenn man das versteht, so wie ich es darstelle
und ihr es jetzt hört, so hindert euch das doch nicht daran,
dass, wenn ihr hier rausgeht und ihr euren Geldbeutel verliert,
ihr genauso fuchsteufelswild werden würdet wie ich auch.
Die Paramita sind nicht nur da, um über diese tiefe Dimension
zu meditieren, sondern sie müssen fortwährend in unser
Leben eingeführt werden, indem wir in jedem Augenblick das
betrachten, was in unserem Geist geschieht.
Sinn unserer Praxis ist, dass das aus der Quelle fließt
und dass man daran nicht mehr zu denken braucht. Aber solange
das nicht der Fall ist, muss man sich ab und zu die Gebote ins
Gedächtnis rufen, um nicht zu lügen, was das 3. Gebot
ist.
Es gibt zwei Arten zu lügen: zum einen, falsche Geschichten
zu erzählen. Aber schwerwiegender in unserer Praxis ist,
uns selbst zu belügen. Auch dabei existieren zwei Arten:
zu glauben, dass man etwas realisiert hat, was man nicht realisiert
hat, und sich für etwas zu halten, was man nicht ist. Der
erste Lügner ist also das Ego, denn es hält sich wirklich
für etwas, das es nicht ist und das ist eine enorme Lüge.
Wie viele Lügen werden nicht im Laufe eines Tages ausgesprochen,
um es zu nähren und zu stärken? Aber die noch größere
Lüge ist es, nicht zu sehen, was wir in der Tiefe sind. Unsere
tiefe Natur nicht anerkennen, sich mit ihr nicht harmonisieren
und sie so zu verraten. Das bedeutet, den Buddha-Geist, der in
uns ist, nicht auszudrücken und einzig unsere Täuschungen
zu Wort kommen zu lassen. „Nicht lügen“ bedeutet
also, authentisch zu werden, wirklich durchsichtig zu werden für
das, was wir in Wirklichkeit sind.
Was das betrifft, was man „schlechte Sexualität“
nennt, so ist dies ein großes Problem, sogar in den Dojos
und man könnte das vielleicht in den Arbeitsgruppen ansprechen.
Denn die sexuelle Energie ist bei allen Wesen die stärkste
Antriebsenergie. Sie ist eine Energie, die Leben trägt und
daher wichtig ist. Es geht darum, diese Energie kanalisieren zu
können, auf eine Weise, dass sie wirklich Quelle des Lebens
und authentischer Liebe und nicht Ursache von Leiden wird. Wie
ihr wisst, wird Sexualität eine Leidensquelle, wenn man die
andere oder den anderen als ein Objekt behandelt, als ein Objekt
der eigenen Befriedigung, als Besitz, und man vergisst den anderen
als denjenigen zu lieben, der er ist. Bezüglich dieses Gebotes
muss man sich immer wieder fragen: „Was bedeutet es zu lieben?“
Das ist das Koan der Liebe. In der Tiefe bedeutet „schlechte
Sexualität“ Liebe zu machen ohne zu lieben. Umgekehrt,
in einem positiven Sinn, kann die Praxis der Liebe auch Praxis
der Erwachens werden: als Gabe für den anderen, Aufmerksamkeit
für den anderen, Selbstvergessen für den anderen, usw..
Ein anderes Paramita, eines, das zu praktizieren mir sehr schwer
fällt, ist die Geduld. Das ist mein Koan. Alle wissen, was
es heißt, ungeduldig zu sein, insbesondere, wenn man Zazen
praktiziert und Schmerzen in den Beinen hat. Man wir ungeduldig
und sehnt das Ende von Zazen herbei. In diesem Augenblick kann
die Praxis der Geduld darin bestehen, sich zu fragen: „Wer
wird ungeduldig?“ oder „Was ist so wichtig, dass ich
ungeduldig werde?“ Wenn das Auto vor einem nicht losfährt,
wenn die Ampel auf Grün umspringt, möchte man manchmal
hupen. Oder wenn die Person, die vor einem an der Kasse steht,
beginnt, ihre Cent zu zählen und eine Stunde braucht, um
ihre Rechnung zu bezahlen, dann wird man ungeduldig – ich
zumindest. Da kann man sich fragen: „Was passiert hier eigentlich?
Wer wird ungeduldig? Glaubst Du, dass Du wichtiger bist, als die
anderen? Warum sollen die Leute nicht das Recht haben, sich Zeit
zu nehmen? Glaubst Du, dass Deine Zeit wertvoller ist, als die
der anderen?“ In diesem Moment kann die Schwierigkeit, Geduld
zu praktizieren, plötzlich eine hervorragende Möglichkeit
werden zu erwachen. Schließlich gibt es auch die Tatsache
ungeduldig mit der Ungeduld zu werden, was noch mehr auf mich
zutrifft, d.h. es macht mich traurig, dass mir Geduld fehlt. Das
führt zu einer wichtigen Praxis des Bodhisattva, die darin
besteht, Geduld zu haben bezüglich der eigenen Bonno. Das
ist sehr wichtig. Die Arhats haben keinerlei Geduld: Sie wollen
alles abschneiden und vollkommen sein. In gewissem Sinn ist das
einfacher, denn der Bodhisattva legt das Gelübde ab, in der
Welt der Täuschungen zu bleiben, gemeinsam mit allen Wesen
und abzutrennen ohne abzutrennen. Er behält also immer eine
Dosis von Täuschungen, von Bonno. Das hat das Verdienst,
dass es ermöglicht, sich nicht für den anderen überlegen
zu halten, und hält uns in Berührung mit dem, was das
tagtägliche Leid in jedem ist. Geduld mit den eigenen Bonno
zu haben, ist also ein Aspekt von Mitgefühl: Man kann um
so besser verstehen, dass jeder aufgrund seiner Bonno leidet,
als man in Kontakt mit ihnen bleibt.
Es gibt auch die Geduld in Bezug auf das Dharma. Es ist nicht
so einfach, das Dharma zu praktizieren. Z.B. ist das, was ich
euch gerade erkläre, etwas, das ihr schon oft gehört
habt. Man sagt sich: „Das stimmt.“ Aber es gelingt
einem nicht, es vollständig zu praktizieren. Was also tun,
damit das Ego das Dharma nicht zurückweist? Was tun, damit
man nicht in das Leid von Schuldgefühlen verfällt? Wenn
man den Eindruck hat, dass es einem nicht gelingt, wird die Praxis
der Geduld sehr wichtig. Zur wirklichen Praxis des Erwachens aber
wird die Praxis der Geduld, wenn man realisiert, dass es letztlich
niemand gibt, der Geduld hat, und dass es nichts gibt, bezüglich
dessen man Geduld haben muss. D.h. dass nur dieser Augenblick
existiert und es also überhaupt nichts zu erwarten gibt.
Das bringt uns zur Praxis der Bemühung, die oft in den Dojos
verlangt wird. Die Dojo-Verantwortlichen betrachten es als Teil
ihrer Funktion, die Leute aufzufordern, sich kontinuierlich mehr
zu bemühen. Mehr praktizieren, das Gyôji regelmäßig
praktizieren, täglich, also dahin gelangen, diese Bemühung
unablässig zu machen, um die Praxis nicht zu unterbrechen.
Das ist wichtig für einen selbst und das ist es auch, was
man an die anderen weiterzugeben versucht, wenn man Zazen unterweist.
Eine unablässige Bemühung ist um so erforderlicher,
als wir auf einem Weg des Bodhisattva engagiert sind, mit dem
unermesslichen Gelübde, das wir abgelegt haben, alle Wesen
zu retten. Aber auch hier ist die Bemühung nur möglich,
wenn sie nicht vom Ego kommt. Sonst erschöpft man sich, denn
man hört nicht auf, sich zu zwingen. Also ist es wichtig,
sich mit einer Energie jenseits unserer selbst zu verbinden, die
nicht von unserem kleinen Ego kommt. Es geht darum, von der Praxis
gezogen zu werden und den Buddha-Geist uns über uns hinaus
tragen zu lassen. Das setzt Vertrauen voraus. Mit Vertrauen, d.h.
mit einem Geist, der sich in völliger Einheit mit der Lehre
Buddhas befindet, wird die Bemühung weniger notwendig. Natürlich
ist Bemühung erforderlich, um diesen Vorgang in Gang zu setzen,
z.B. muss man sich bemühen, um zu einem Sesshin zu kommen,
um seine Wohnung zu verlassen. Wenn man aber das Dojo betreten
hat, fühlt man sich von einer Dimension getragen, die uns
übersteigt – selbst wenn man Schmerzen in den Beinen
hat. So, wie Meister Dogen im Shobogenzo Shoji sagt: „Wenn
Ihr Euren Körper und Euren Geist aufgebt und vergesst und
das Haus Buddhas betretet, wenn Buddha Euch leitet und Ihr ihm
folgt, dann werdet Ihr Buddha, ohne Euch anzustrengen und ohne
zu denken, befreit von Leben und Tod.“ Wie dem auch sei,
beides ist erforderlich: Praxis mit Bemühung und Praxis jenseits
der Bemühung.
Das Paramita der Meditation ist für uns Zazen. In der ursprünglichen
Unterweisung Buddhas wird von der Praxis von Dhyana gesprochen,
von vier Stufen von Dhyana. Oft sagt man wie Meister Menzan: „Die
Praxis von Zazen ist nicht die Praxis von Dhyana, ist nicht das
Dhyana-Paramita.“ Das bedeutet, dass es nicht eine spirituelle
Technik neben anderen ist, um uns zu erlauben, uns von unserem
Ego zu befreien und das Satori zu erlangen. Zazen ist in sich
selbst Praxis des höchsten Erwachens, hier und jetzt. Wenn
man jedoch untersucht, worin die Praxis von Dhyana besteht, stellt
man fest, dass es genau das gleiche ist. Die Praxis von Dhyana
besteht darin, sobald man das Dojo betritt, alle persönlichen
Emotionen fallen zu lassen, unsere Zweifel, unser Grübeln,
die Tatsache, dass man Lust oder keine Lust hatte zu kommen. Es
bedeutet auch, alle unterscheidenden Aktivitäten aufzugeben,
unsere intellektuellen Aktivitäten, unsere Urteile, unsere
Überlegungen. Es bedeutet sogar, die Freude aufzugeben, dass
es einem in Zazen gut geht, die manche für das Satori halten.
Über genau das muss die Praxis von Zazen unaufhörlich
hinausgehen. Man könnte daher glauben, dass es darum geht,
einen Zustand der Gleichmut zu erreichen, weder Liebe noch Hass.
Aber es ist sogar jenseits des Gleichmuts.
Die Praxis von Zazen übersteigt jede Praxis: Das ist dann
der Fall, wenn man nichts mehr praktiziert und niemand mehr da
ist, der irgend etwas praktiziert. So ist die Praxis von Zazen
wirklich eine Befreiung. Hyakujo nennt das „unmittelbares
Erwachen“. Er sagte: „Im Grunde bedeutet die Praxis
des Erwachens zu realisieren, dass das Erwachen nichts ist, was
man erreicht.“
Dies bringt uns zum letzten Paramita, der Praxis der Weisheit.
Meister Deshimaru sagte immer, dass Weisheit sich selbst zu verstehen
ist. Es bedeutet nicht, den Buddhismus zu verstehen: Buddha hat
gelehrt, sich selbst zu verstehen. Sich selbst zu verstehen geschieht
auf mehreren Ebenen. Zunächst bedeutet es, diese Illusion
des Ego zu verstehen. Man darf es aber mit der Aufgabe des Ego
nicht zu eilig haben wollen, indem man sich sagt, dass es im Grunde
eine Täuschung ist. Man muss betrachten, wie es funktioniert,
wie wir konditioniert sind, wie das Erblinden durch unsere Täuschungen
funktioniert. Z.B. begegnet man jemanden und statt die Person
selbst zu sehen, zeigen sich geistige Projektionen und man erinnert
sich daran, was diese Person beim letzten Mal zu uns gesagt hat.
Wenn es sich um eine Kritik gehandelt hat, wird man die Person
verärgert betrachten, den man sieht sie durch seine geistigen
Projektionen hindurch. Weisheit besthet bereits darin, das wahrzunehmen.
Das bedeutet, um mit Kodo Sawaki zu sprechen, zu sehen, wie unsere
vom Karma getönten Brillengläser unsere Sicht von Dingen
und Wesen verfärben. Für ihn bestand die Praxis von
Zazen darin, diese getönten Brillen abzulegen. Weisheit im
Sinne der rechten Sicht, im Sinne von Shoken im Hannya Shingyo,
besteht nicht einfach darin, zu sehen, dass die fünf Aggregate
nur Leerheit sind, es bedeutet zu sehen, wie diese Aggregate funktionieren,
um uns zu täuschen. Das bringt auch Dogen zum Ausdruck, wenn
er sagt, dass die gewöhnlichen Menschen sich hinsichtlich
des Erwachens täuschen, während die Erwachten ihre Täuschungen
klären. Man hat also unaufhörlich die Gelegenheit zu
beobachten, wie das abläuft, sowohl im Dojo als auch im Alltag,
und das muss einer der grundlegenden Aspekte unserer eigenen Praxis
sein.
Am wichtigsten ist es aber zu sehen, dass es im Grunde niemanden
gibt, der sich täuscht, dass es nichts gibt, bezüglich
dessen sich jemand täuschen kann. Diese absolute Dimension
der Praxis der Weisheit kann zu keinem Zeitpunkt von der Tatsache
getrennt werden, dass in der Wirklichkeit, im täglichen Leben,
ich es bin, der sich täuscht, und es viele Anlässe der
Täuschung gibt. Ich glaube, dass es einer der wichtigen Aspekte
unserer Praxis ist, uns frei zwischen diesen beiden Dimensionen,
der absoluten und der relativen Dimension, hin und her zu bewegen.
Wenn man das nicht macht, kann man dogmatisch hinsichtlich des
Nicht-Ego, des Nicht-Ich werden und nur diesen Aspekt klären
und sich nicht bewusst werden, wie man unablässig von der
Dimension des Ego ergriffen ist. Ich glaube also, dass man wirklich
beides sehen muss und dass es die Praxis der Paramita ist, die
die relative Dimension des von unserem Ego konditionierten Lebens
mit der absoluten Dimension verbindet, in der man sich bewusst
wird, dass es letztlich kein Ego gibt, nichts an das man sich
klammern könnte, nichts bezüglich dessen man sich täuschen
könnte. So wird die tiefe Dimension der Praxis des Weges
realisiert.
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.