BuddhaWeg-Sangha

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Das ehemalige KZ Weimar-Buchenwald –
Ein Ort des Weges

 

Im Avatamsaka-Sutra wird vom Netz Indras gesprochen. An jedem Knotenpunkt dieses Netzes befindet sich ein Diamant, in dem sich alle anderen Diamanten des Netzes spiegeln. Hebt man das Netz an einer Stelle an, wirkt sich das zum einen auf das ganze Netz aus, zum anderen spiegelt sich diese Handlung in allen Diamanten des Netzes.

Das Netz Indras ist eine Metapher, die verdeutlichen soll, was Buddha unter dem versteht, was wir mit Begriffen wie ‚Ungetrenntheit’, ‚Verbundenheit’, ‚Wechselbeziehung’, ‚wechselseitige Abhängigkeit’ bezeichnen. Wir nehmen uns als isolierte Wesen, als einzelne Menschen wahr, in Wirklichkeit sind wir aber mit allem verknüpft, was existiert, und alles, was existiert, spiegelt sich in uns.

Diese Ungetrenntheit gilt nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für Vergangenheit und Zukunft. Aufgrund bestimmter sozio-historischer Gegebenheiten, in denen unsere Eltern gelebt haben – und die von diesen durch eigenes Handeln oder durch das Unterlassen von Handlungen mit geprägt wurden –, haben wir eine bestimmte Kindheit gehabt, in der bestimmte Charakterzüge geformt wurden. In unserem Leben haben wir – wieder in einem auch von uns beeinflussten sozio-historischen Kontext – bestimmte Entscheidungen getroffen, die unser Leben geprägt haben und weiter prägen. Entscheidungen, die wir heute treffen, haben Einfluss darauf, wie wir in Zukunft leben werden, und beeinflussen ebenfalls das Leben anderer Menschen in Gegenwart und Zukunft. – Um hierzu nur zwei Beispiele zu nennen: Wir verbrauchen gegenwärtig Öl und Kohle in einem Umfang, dass die Vorräte, die sich in Jahrmillionen entwickelt haben, in wenigen Jahrzehnten aufgebraucht sein werden und zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Auf der anderen Seite hinterlassen wir diesen Generationen radioaktiven Müll, der noch in tausenden von Jahren die Gesundheit aller Lebewesen auf der Erde bedrohen wird.

Einer der Menschen, die das Leben vieler anderer beeinflusst hat und auch nach seinem Ableben weiterhin beeinflusst, ist Taisen Deshimaru. 1914 geboren, wurde er 1965 von Kodo Sawaki zum Mönch ordiniert. Vor 40 Jahren, 1967 kam er nach Paris und begann dort, Zazen zu lehren. Vor 25 Jahren, 1982, verstarb er während eines Japan-Aufenthalts.

Wenn wir heute ein Sesshin hier in Weimar-Buchenwald machen, ist das u.a. der unermüdlichen Aktivität zu verdanken, mit der Meister Deshimaru die Zazen-Praxis in Europa verbreitete. – Meister Deshimaru selbst ist wiederum verknüpft mit Kodo Sawaki, Dogen Zenji, mit allen Meisterinnen und Meistern der Weitergabe seit Buddha Shakyamuni. Roland Yuno Rech, Nachfolger von Meister Deshimaru, gibt seinerseits die Lehre seines Meisters weiter. Ohne seine kontinuierliche Unterweisung und Unterstützung wäre ich nicht in der Lage, dieses Sesshin zu leiten. – Wir sind ebenfalls verbunden mit Roshi Bernie Glassman, der 1996 begann, Retreats in ehemaligen Konzentrationslagern zu leiten, und seiner ganzen Dharma-Linie

Auch wenn wir den Eindruck haben, dass wir hier nur 16 Personen sind, die dieses Sesshin in Weimar-Buchenwald praktizieren, können wir, wenn wir nur genau genug hinsehen, wenn wir die wechselseitigen Verbundenheit von allem wahrnehmen, wenn wir das Netz Indras sehen, sehen, dass der ganze Kosmos mit uns praktiziert.

Mit uns praktizieren auch all die, die vor uns hier an diesem Ort waren, sei es als Gefangene, sei es als Wachmannschaften. Mit uns verbunden, nicht von uns getrennt sind die, die hier zu Mördern wurden, und die, die hier ermordet wurden. Mit uns verbunden sind die, die in anderen Lagern ermordet wurden, und die, die in anderen Lagern zu Mördern wurden. Nicht getrennt von uns sind die, die Buchenwald überlebten, und die Nachkommen der Opfer ebenso wie die Nachkommen der Täter. – Goethe ist übrigens mit seinem Sekretär Eckermann hier auf dem Ettersberg spazieren gegangen. Auch diese beiden sind Teil von Indras Netz.

Das Wort ‚Sesshin’ bedeutet übersetzt ‚den Geist berühren’. Lasst uns also, wenn wir hier in Weimar-Buchenwald ein Sesshin praktizieren, den Geist berühren, der die Unterschiede sieht,
- der sieht, dass es Täter und Opfer gibt,
- der sieht, dass es Täter gibt, die selbst Opfer sind,
- der sieht, dass es Opfer gibt, die zu Tätern geworden sind,
der aber auch sieht, dass wir trotz der Unterschiede nicht voneinander getrennt sind.

Wir Menschen neigen dazu, wegzuschauen, wenn wir Angst haben, etwas uns Unangenehmes sehen zu müssen, wir neigen dazu wegzuhören, wenn wir Angst haben, etwas uns Unangenehmes hören zu müssen, wir neigen dazu, uns vor den Schreien der Welt zu verschließen. – Einige von uns haben das Gelübde des Bodhisattva abgelegt, allen lebenden Wesen zu helfen, sich zu befreien. Wenn wir Orte meiden, an denen sich Leid äußert, wenn wir wegschauen oder weghören, wo Leid sichtbar wird, können wir unser Gelübde nicht vollständig erfüllen.

Lasst uns also auch vom Geist des Mitgefühls und der Anteilnahme, vom Geist Kanjizai Bosatsus berührt werden, dem Geist der Bodhisattva Kannon, die die Schreie der Welt hört.

Hier in Buchenwald können wir die Schreie derjenigen hören, die hier gelitten haben. Wir können aber auch die Schreie all derjenigen hören, die heute irgendwo auf der Welt leiden. Und wir können unsere eigenen Schreie hören. – Dieses Hinhören ist wichtig. Viel zu oft handeln wir, ohne wirklich gehört zu haben, was nötig ist. Überstürzter Aktivismus mag zwar den Anschein von Handeln erwecken, oft ist dieses Handeln jedoch nicht wirklich hilfreich.

Lasst dieses Sesshin also wirklich zu einem Sesshin werden, indem ihr euer inneres Selbstgespräch zur Ruhe kommen lasst. Berührt den Geist der Ungetrenntheit, praktiziert gemeinsam mit allen Wesen und lasst euch vom Geist des Mitgefühls berühren. – Macht auf diese Weise aus dem ehemaligen Kz Buchwald, einem Ort des Schreckens, ein wirkliches Dojo, einen Ort des Weges.


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