BuddhaWeg-Sangha

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Fragen und Antworten

 

GEFÜHLE

 

Während dieses Monats hatte ich ein Gefühl, das in meinem täglichen Leben sehr gegenwärtig ist, eine gewisse Traurigkeit. Aber wenn ich Zazen mache, bleibt davon keine Spur. Woran kann ich erkennen, dass ich mich in Zazen nicht verstecke?

Es ist nicht notwendig, das zu wissen. Warum willst du das wissen?

Ich frage mich, ob ich mich in Zazen vor diesem Gefühl verstecke, es unterdrücke, oder ob ich mich im Alltag täusche.

Im Geist gibt es keine feste Substanz. Manchmal ist man traurig, manchmal ist man nicht traurig. Wenn du im täglichen Leben traurig bist, kannst du dich fragen: „Was ist das, diese Traurigkeit?“ Du nimmst dieses Gefühl als eine Art Koan, das dir etwas über dein Leben sagt. „Was ist das, diese Traurigkeit?“

Wenn dieses Gefühl in Zazen verschwindet, liegt das daran, dass man in Zazen in einer anderen Energie ist. Man ist weniger auf sein Ego zentriert. Normalerweise ist es das Ego, das traurig oder frustriert ist, weil es nicht das bekommt, was es will. Ich glaube nicht, dass man in Zazen das Ego unterdrückt. Man ist einfach in einem viel weiteren Geisteszustand als im Alltag, in dem es diese Frustration des Egos nicht mehr gibt. Ich glaube, dass es so ist, aber du musst es überprüfen.

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Ein Kollege erklärte mir, dass es für ihn so sei, dass jegliche Handlung letztlich im Ursprung einer Emotion entspricht. Was denkst du zum Stellenwert von Emotionen ?

Emotionen bringen uns oft dazu zu handeln. Das Wort ‚E-motion’ bedeutet, in Bewegung gesetzt zu werden. Emotionen sind oft der Impuls für Handlungen. Gefühle sind wichtig. Es ist sehr wichtig, sie gut zu beobachten.

Viele Gefühle haben eine positive und negative Seite. Z.B. ist Angst nicht nur negativ. Angst kann uns lähmen und uns daran hindern, z.B. die Bodhisattva-Ordination zu empfangen. Aber Angst signalisiert auch eine Gefahr. Es ist wichtig, Angst zu haben. Die Amerikaner haben im 2.Weltkrieg psychologische Tests für das Militär entwickelt, insbesondere für die Flieger. Diejenige Flieger, die keine Angst hatten, hat man nicht in gefährliche Missionen geschickt, weil sie zu große Risiken eingegangen wären. Sie wären irgendwann nicht zurückgekommen. Angst hat bei allen Wesen eine Schutzfunktion.

Das erste Mal, als ich Meister Deshimaru in einem Vortrag gehört habe, 1972 in Zinal, sagte er: „Ihr müsst Angst haben.“ Es war schon etwas komisch, das von einem Zen-Meister zu hören. Hinterher hat er es erklärt: „Ihr müsst Angst vor der kosmischen Ordnung haben. Angst davor, euch gegen die kosmische Ordnung zu stellen.“ - In der Welt geschehen heute viele Dinge, die der kosmischen Ordnung widersprechen und durch die viel Schaden entsteht. Dort hat man offensichtlich nicht genug Angst und ist nicht vorsichtig genug.

Das ist ein Aspekt der Emotion. Es gibt so viele Emotionen, dass man stundenlang darüber reden könnte. Deshalb ist deine Frage etwas kompliziert. Freude ist z.B. ein großes Gefühl und einer der sieben Faktoren des Erwachens. Man kann nicht über Gefühle sagen, dass sie generell gut oder schlecht sind. Es gibt einige Religiöse, die meinen, Gefühle seien fast so schlimm wie die Erbsünde im Christentum.

Ich bin nicht dieser Meinung. Für mich sind Gefühle wie Koans. Sie zeigen etwas: Da passiert etwas. Was passiert? Das Gefühl weckt das Bewusstsein. Wenn man nicht sehr klar ist und plötzlich eine Emotion auftaucht: „Ah! Was passiert hier?“ Wenn man mit seinen Gefühlen vertraut wird, beginnt man die Wechselbeziehung zu verstehen, in der man sich befindet. Deshalb ist es sehr wichtig, mit sich selbst, mit seinen Gefühlen vertraut zu werden. Aber das heißt nicht, dass man ihnen folgen sollte. Emotionen sind eine Art Energie. Sie wecken das Bewusstsein, aber danach muss man damit etwas tun. Deshalb ist die Beobachtung sehr wichtig, die Weisheit.

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Wenn ich im Dojo heftig weinen muß, muß ich dann rausgehen, weil ich dann keinen Platz mehr im Dojo habe?

Das hängt von der Energie und der Kraft ab, mit der du weinst. Oft weinen Leute während Zazen. Wenn es dir gelingt, diskret zu weinen, dann geht es. Aber wenn du mit viel Lärm heulst, beeinflußt das die anderen und alle fangen an zu weinen. Dann wird es ein Problem. Wenn du wirklich weinen mußt, versuche leise zu weinen. Wenn du zu laut weinst, steht der Shusso auf und bringt dich aus dem Dojo. Er trifft dann die Entscheidung. Also brauchst du dir den Geist damit nicht kompliziert zu machen.

Das gibt mir nur das Gefühl, daß ich, wenn ich aus dem Reglement rausfalle, gehen muß.

Ja.

Bedeutet das, daß ich, wenn ich auf dem Weg bin, irgendwann keine heftigen emotionalen Regungen mehr habe?

Auf Dauer gesehen: ja. Aber anfangs ist es oft genau entgegengesetzt: Oft ist es so, daß die Gesellschaft uns veranlaßt, unsere Gefühle zu unterdrücken. Wenn man sich dann in Zazen hinsetzt, steigen alle angesammelten Emotionen auf. Das wird im Zen nicht abgelehnt. Es geht einfach darum, daß man die anderen respektiert und sich mit ihnen harmonisiert. Es ist völlig in Ordnung, wenn du weinst, aber es sollte die anderen nicht stören. Im allgemeinen geht das ein paar Monate so, dann hören die Leute auf zu weinen. Sie sind von ihren Emotionen befreit. Das zeigt die Erfahrung.

Die Zazen-Praxis ermöglicht es uns, im Alltag die Emotionen besser zu verdauen, d.h. sie nicht zurückzuweisen, wenn sie auftauchen, sondern mit ihnen in Kontakt zu sein und ihnen Raum zu geben. Gefühle sind wie Koans, sie lehren uns etwas. Ein Gefühl ist ein Phänomen, das uns eine Wahrheit in einem bestimmten Augenblick zeigt. Es ist also gut, das zu beobachten und den Gefühlen Raum zu geben.

Wenn sie verschwinden, verschwinden sie also allmählich durch die Dauer der Praxis und nicht mit Gewalt oder durch Unterdrückung?

Ja.

Auf der anderen Seite ist es für mich eine erschreckende Vorstellung, daß sie weg sind.

Das heißt nicht, daß es überhaupt keine Gefühle mehr gibt. Nur die heftigen Emotionen, die, die uns stören, haben die Tendenz zu verschwinden. Gefühle sind Teil des Lebens, und das geht weiter. Selbst wenn man Zazen macht, ist man traurig oder froh. Auch Zen-Meister haben Gefühle. Ich habe Meister Deshimaru erlebt. Er hatte Emotionen. Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Leuten, blieb er nicht Gefangener seiner Emotionen, sie sind sehr schnell vorbeigegangen. Wenn man z.B. traurig ist, ist man völlig traurig. Man geht bis in die Tiefe der Traurigkeit. Und das geht vorbei. Das ist wie eine Wolke, die vorüberzieht. Das heißt aber nicht, daß es keine Wolken mehr gibt, sondern nur daß sie nicht verweilen. Sie ziehen schnell vorüber.

Ist es also gut, bei heftiger Trauer und Tränen sich hinzusetzen und Zazen zu machen?

Ja, das ist sehr gut.

Das bedeutet aber, das Gefühl zu unterbrechen: Das freie Herausfließen wird unterbrochen.

Nein, es bedeutet in Kontakt mit dem Gefühl zu sein und mit ihm zusammen Zazen zu machen. Das hilft die Gefühle zu verdauen. Dadurch gehen sie schneller vorbei.

Ich erzähle immer wieder die Geschichte von dem Zenmeister, der 48 Stunden lang weinte. Einer seiner Schüler sagte zu ihm: „Sie sind kein richtiger Meister. Sie lassen sich von ihren Emotionen überwältigen und heulen wie ein kleines Kind.“ Der Meister antwortete: „Meine Freiheit besteht darin, zu weinen, wenn ich traurig bin.“ Er war völlig eins mit seiner Trauer, als er traurig war. Und er war wirklich in der Tiefe seiner Traurigkeit. Der Erfolg davon war aber, daß er den größten Teil seiner Traurigkeit in 48 Stunden bewältigt hatte. Dann war’s vorbei.

Es gibt andere Leute, die gegen die Trauer kämpfen und sich bemühen, sie zu verbergen. Sie verleugnen die Trauer und tun so, als wären sie überhaupt nicht traurig. Es gelingt ihnen nicht zu trauern. So bleiben sie mit dieser Trauer dann Monate lang. Das ist viel schlimmer. Das sollte man nicht tun.

Zen bedeutet mit seinen Gefühlen in Kontakt zu sein, sie tief zu durchdringen und dann über sie hinauszugehen. In Kontakt sein, aber nicht an ihnen haften, sie nicht lieben, sich nicht sagen: ‘Jetzt muß ich aber traurig sein.’ - Es gibt Leute, die hängen an ihren Emotionen. Im Zen hängt man an überhaupt nichts. Wenn man traurig ist, ist man völlig traurig. Aber schon am nächsten Tag kann man voller Freude sein. Wie das Wetter, das sich ändert.

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Ich habe eine Frage bezüglich der Gefühle. Wenn man in Zazen ist, kann ich gut beobachten, wie all das auftaucht. Wenn ich wirklich konzentriert bin, bin ich jenseits dieser Emotionen, jenseits von Zuneigung und Abneigung, Liebe und Hass. Als Künstler sind für mich Emotionen Quelle der Kreativität. Ich verstehe nur sehr schlecht, woher die Emotionen eigentlich kommen. Man steht auf, manchmal ist man froh, manchmal ist man traurig. Manchmal hat man Gedanken, die die Emotionen beeinflussen, manchmal Emotionen, die die Gedanken beeinflussen …

Was ist die Frage?

Ich möchte diesen Mechanismus besser verstehen.

Jetzt einen Kurs in Psychologie zu machen, wäre zu lange.

Aber ich täusche mich doch nicht, dass diese Beobachtung, die in Zazen auftaucht, frei von Emotionen ist?

Sicher. Die richtige Haltung in der Zazenpraxis, ist alles zu beobachten, wie du es gesagt hast, ohne Zuneigung und Abneigung, ohne Liebe oder Hass. Das ist eine grundlegende Einstellung. Das wendet man auf alles an, was in Zazen auftaucht. Das heißt, wenn eine freudige Emotion da ist, klammert man sich nicht besonders an diese Emotion der Freude, man bemüht sich nicht, sie beizubehalten. Wenn eine traurige Emotion da ist, gibt es Leute die weinen, aber sie wissen nicht genau, warum diese traurige Emotion da ist. Aber selbst, wenn diese Emotion unangenehm erscheint, so bemüht man sich nicht, sie zu vermeiden, sondern man akzeptiert, was da ist, ohne Anhaftung und ohne Zurückweisung, d.h. man fügt den Emotionen keine Emotionen hinzu. Das erlaubt es dem Geist, schnell einen normalen Zustand der Ruhe wieder zu finden, ohne zu viele Emotionen. Es handelt sich um eine Art der Deeskalation aller emotionalen Spannungen. Deshalb haben gewöhnlich am Ende eines Sesshins alle einen friedlichen Geist.

Manchmal gibt es Leute, die ein bisschen, so wie du, Angst haben, ihre Emotionen zu verlieren: ‚Wenn ich keine Emotionen mehr habe, bin ich vielleicht nicht mehr inspiriert.’ Sie glauben, dass die Emotion notwendig ist, um zu handeln und schöpferisch zu sein. Aber das ist nicht unbedingt so. Die Zazenpraxis zerstört nicht die Emotionen. Wie ich gerade gesagt habe und auch vorhin im Kusen, ändern wir einfach unsere Haltung den Emotionen gegenüber.

Im Genjô Koan gibt es eine sehr tiefe Unterweisung von Dogen: Selbst wenn man die Leerheit all dessen betrachtet, was auftaucht, so hindert das dennoch nicht daran, dass man bedauert, dass Blumen verwelken oder dass Freunde verschwinden, dass der Tod kommt. Das war der Fall bei Dogen. Er hat das Gedicht ‚Mujo’ geschrieben. Er betrachtet den Mond und sagt so ungefähr: „Der Herbstmond ist schön an diesem Abend, aber warum hindert er mich daran zu schlafen?“ Dogen ist krank und weiß, dass er den Herbstmond nicht mehr sehen wird. In diesem Augenblick ist er traurig. Das ist der Sinn des Gedichts. Genauso im Genjô Koan: Er erkennt an, dass die Blumen verwelken und wir das bedauern, selbst wenn wir wissen, dass es der normale Zustand ist, dass alles unbeständig ist. Aber selbst diese Emotion ist die Manifestation der tiefsten Realität.

Wenn man die Dinge so sieht, kann man durchaus damit fortfahren, Emotionen zu empfinden, ohne sie zu dramatisieren. Das Leben geht weiter, man wird nicht zu einem Leichnam. Man empfindet weiter Wünsche und Emotionen, aber man ist davon nicht mehr konditioniert, wird davon nicht mehr geleitet. Wenn man in einem bestimmten Augenblick traurig ist, wird das nicht mehr völlig unser Handeln ändern. Und wenn man wütend ist, wird man z.B. nicht mehr gewalttätig. Aber es ist wichtig die Wut zu zuzulassen, wenn sie da ist. Man unterdrückt sie nicht, man folgt ihr aber auch nicht. Sie wird zum Koan: Was ist das? Man kann wirklich von einer Emotion aus erwachen.

Man spricht oft von Mitgefühl. Für mich ist das mehr ein Handeln als eine Emotion.

Im Mitgefühl ist immer auch ein Teil Emotion enthalten, Mitleid mit den Wesen, die leiden. Wenn man überhaupt nicht berührt ist, fällt es einem oft schwer, zur nächsten Etappe überzugehen, in der man sich fragt: „Was kann ich jetzt eigentlich tun, um dieses Leiden zu erleichtern?“ Wenn man aber von Mitleid überwältigt ist, ist das einzige, was man machen kann, mit dem anderen zu weinen, ohne dass man Weisheit schafft. Der Geist ist nicht klar, sondern ist von der Emotion ergriffen. Man kann nicht sehen, was das Richtige ist, um zu helfen. Man muss also die Fähigkeit bewahren, Emotionen zuzulassen, und die Fähigkeit kultivieren, sie schnell vorüber ziehen zu lassen und sich nicht von Emotionen gefangen nehmen zu lassen.

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Du hast gestern gesagt, wir sollen unsere Gefühle akzeptieren. Wie gehe ich mit den Gefühlen um, die nicht im Einklang mit den Gelübden sind, die ich abgelegt habe?

Du musst dir ihrer bewusst werden und akzeptieren, dass du diese Gefühle hast. Wenn sie nicht in Einklang mit den Gelübden sind, wie zum Beispiel Hass oder Eifersucht, negative Gefühle, die aggressiv machen, dann musst du dich fragen: „Was passiert gerade in mir? Warum habe ich diese Art von Gefühlen?“ Sie sind nichts Natürliches. Vielleicht warst du Opfer einer Ungerechtigkeit. In dem Moment sollte man die Ungerechtigkeit bereinigen. Oder es ist die Folge eines vergangenen Karmas, dann muss man es heilen. Es ist wie eine Krankheit.

Ein Gefühl zu akzeptieren heißt nicht, ihm zu folgen, sondern es zu erkennen. Manchmal wollen wir unsere negativen Gefühle nicht sehen, weil sie die schönen Vorstellungen stören, die wir uns von uns selbst machen. Wir akzeptieren sie nicht und unterdrücken sie. Das ist gefährlich, weil die Gefühle weiter existieren und uns unbewusst handeln lassen. Es ist besser, sie zu akzeptieren. Man kann auf das, was man akzeptiert und erkennt, aufpassen und so vermeiden, dass daraus schlechte Konsequenzen entstehen.

An welches Gefühl denkst du, wenn du diese Frage stellst?

An die Liebe.

Du erlebst gerade eine unglückliche Liebe? - Das passiert allen. Leider. Aber das geht nicht gegen die Gelübde. Wenn du deshalb gewalttätig wirst oder das zu negativen Reaktionen führt, wird es gefährlich und du musst aufpassen. Bei einer unglücklichen Liebe musst du herausfinden, was passiert ist. Du bist nicht unbedingt der einzige, der für diese Lage verantwortlich ist. Du musst dir sagen, dass es vorbei geht. - Wenn man im Liebesleben Schwierigkeiten begegnet, hat man das Gefühl, die Welt geht zu Ende, nichts ist wie früher, nichts geht mehr. Aber später ändert es sich, und man sieht, dass es doch weitergeht. Man muss die Situation akzeptieren, aber das heißt nicht, dass man ihr dauerhaft ausgeliefert ist. Man sollte sich nicht sagen: „Ich bin jetzt unglücklich und werde es bis zum Ende meines Lebens sein.“ Im Gegenteil, wenn man etwas völlig akzeptiert und ganz klar sieht, was geschieht, kann man sich verändern und weiterentwickeln. Das wünsche ich dir.


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