BuddhaWeg-Sangha

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Fragen und Antworten

 

BEOBACHTUNG

 

Ich habe festgestellt, dass es in deiner Unterweisung oft zwei Sprechweisen gibt: entweder genug konzentriert sein, um zu beobachten, oder völlig absorbiert sein. In diesem Sesshin habe ich den Eindruck, dass es mehr ums Absorbiertsein geht. Sind das zwei Weisen, um über die gleiche Sache zu sprechen, oder ist das eine tiefer als das andere, oder sind das zwei sich ergänzende Weisen, Zazen zu machen?

Letzteres. Es sind zwei komplementäre Weisen, Zazen zu machen. Aber beide sind erforderlich: Ohne ein Mindestmaß an Konzentration kann man nicht beobachten. Wenn man wirklich konzentriert ist, vernichtet die Kraft der Konzentration jedes Element der Beobachtung: es gibt niemanden mehr, der beobachtet, und nichts, das beobachtet wird. Das bewirkt ein unmittelbares Aufgeben des gewöhnlichen Geistes des Egos, des dualistischen Geistes und ist also die Gelegenheit, unmittelbar das Nirvana zu erleben, das Verlöschen der Dualität.

Das Problem liegt darin, dass unsere geistigen Konditionierungen in uns tiefe Spuren hinterlassen und dass, selbst wenn diese Erfahrung ermutigend und stimulierend sein mag, sie oft nicht ausreicht. Denn man kann nicht immer in diesem Zustand der Absorbiertheit sein. Und wenn man nicht in der Lage ist, die Phänomene mit Weisheit zu betrachten, wird man die Tendenz haben, sich an diese Erfahrung der Absorbiertheit, an das Samadhi, zu klammern, zum Beispiel in einem Kloster leben zu wollen, wo man nie gestört wird und wo man diese Konzentration zu hundert Prozent leben kann.

Aber das ist nicht der wirkliche Sinn unserer Praxis. Der Sinn unserer Praxis ist es, fähig zu sein, Bodhisattvas zu sein, also Wesen, die Mitgefühl praktizieren und keine Angst haben, von den Phänomenen der Welt gestört zu werden, die also innerhalb der Welt der Phänomene bleiben. Um in dieser Welt der Phänomene zu leben, bedürfen wir mehr als der Konzentration. Wir müssen ein tiefes Verständnis unserer selbst entwickeln. Das trägt dazu bei, die anderen zu verstehen, um dann den anderen und einem selbst besser helfen zu können. Dazu muss man die Beobachtung praktizieren.

Beobachtung findet immer auf zwei Ebenen statt: Man muss die Mechanismen verstehen, aufgrund derer man in schmerzhafte Anhaftung verfällt, und man muss zugleich auch immer tiefer betrachten, dass diese Mechanismen unbeständig und ohne Substanz sind, und dass man selbst, der unter diesen Konditionierungen leidet, auch ohne Substanz und letztlich Leerheit ist. Das ist wirklich die tiefste Betrachtung. Buddha sah dies als das wirkliche Erwachen an. Das gab er weiter.

In den alten Sutren war Buddha dem Samadhi gegenüber sehr kritisch. Er sagte: „Das ist ein unbeständiger Zustand. So befreiend und glücklich dieses Samadhi auch sein mag, so ist es doch ein konditionierter und unbeständiger Zustand und bleibt auf die Zeit begrenzt, in der ihr diese Konzentration praktizieren könnt.“ Deshalb unterwies Buddha sehr oft die Weisheit, also Beobachtung, Betrachtung. Das ist der Grund, weshalb in der ältesten Tradition des Buddhismus, es die beiden Praktiken gibt, Samatha und Vipassana. Es sind sogar zwei mögliche Wege. Je nach Fähigkeiten der einzelnen ermutigt man eher, den Samatha-Weg oder den Vipassana-Weg zu gehen. Aber Samatha – Samadhi – ist nicht im Alltag praktizierbar. Das ist reserviert für diejenigen, die sich aus der Welt zurückziehen. Das ist der Grund, weshalb die Menschen, die in Europa den alten Buddhismus unterweisen, nur Vipassana unterweisen.

Das eigentümliche der Soto-Zen-Schule ist es, eine Praxis von Zazen zu unterweisen, in der es diese beiden Richtungen gibt, und in der wir uns bemühen, diese beiden Richtungen zu praktizieren, indem wir sie harmonisieren.

Zur gleichen Zeit oder alternierend?

Ideal ist natürlich, wenn es zur gleichen Zeit geschieht. Praktiziert man z.B. die tiefe Beobachtung der Leerheit, realisiert man, dass es nichts zu beobachten gibt. Das verhindert, dass man in die Dualität eintreten. Aber wenn man z.B. die Mechanismen der Bonnos beobachten will, bedarf das der der Überlegung, also der Unterscheidungsfähigkeit. Das lässt einen dann wieder in den Gedankenprozess eintreten.

Ich empfehle – das hat auch Meister Deshimaru empfohlen, in Zazen mit der Konzentration zu beginnen und so weit wie möglich in der Konzentration zu bleiben. Aber wenn die Konzentration nicht reicht, weil wir von Bonnos besessen sind, die die Konzentration stören, und weil wir dann uns nicht mehr stärker konzentrieren können, ist es besser, zu betrachten, um immer tiefer in diese Betrachtung zu gehen, und dann dort die Leerheit zu realisieren. Dadurch wird dann die Besessenheit, die die Konzentration behinderte, schnell aufgelöst und wir können zur Konzentration zurückkehren.

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Du sprachst davon, dass wir die Vergänglichkeit und die wechselseitige Abhängigkeit beobachten sollen. Ist da immer etwas, das beobachtet?

Etwas? Was ist dieses Etwas?

Genau das ist die Frage. Denn wenn ich das Augenmerk darauf lege und nicht so sehr auf die wechselseitige Abhängigkeit, komme ich zu anderen Schlüssen.

Wenn du dein Augenmerk worauf richtest?

Wenn ich den Schluss ziehe, dass alles wechselseitig abhängig ist, passiert etwas anderes, als wenn ich mich auf das konzentriere, was wahrnimmt.

Genau das ist wechselseitige Abhängigkeit: Unser Bewusstseinszustand ist immer abhängig von seinem Gegenstand. Wenn man z.B. ein Gefühl beobachtet, entsteht eine Wechselbeziehung, eine Verbindung zwischen dem Bewusstsein, das wahrnimmt und dem Gefühl. Das Bewusstsein existiert nicht außerhalb des Gefühls. Es gibt immer eine Wechselbeziehung zwischen Bewusstsein und Gegenstand. Deswegen ist es ganz normal, dass du zu anderen Schlussfolgerungen kommst, je nachdem was du beobachtest und auf was du dein Augenmerk richtest. Dein Bewusstsein ist anders. Das ist die wechselseitige Abhängigkeit.

Es gibt so viele Bewusstseinszustände, wie es Gegenstände gibt, die einem bewusst werden. Es ist wie bei einem Gegenstand und seiner Reflektion im Spiegel. Das ist ein gutes Beispiel für wechselseitige Abhängigkeit. Das Spiegelbild ist völlig abhängig von der Umgebung. Je nach dem, was vor dem Spiegel geschieht, ändert sich das Spiegelbild. Je nach dem, was für ein Gegenstand dir bewusst ist, ändert sich das Bewusstsein.

Letztlich gibt es nur Bewusstsein von etwas. Der Fehler besteht darin zu glauben, dass es etwas gibt, das Bewusstsein hat, etwas, das ein Bewusstsein besitzt: 'ich', 'mein Bewusstsein'. Wir haben den Eindruck, dass das Ich der Besitzer des Bewusstseins ist. Aber es gibt keinen Besitzer des Bewusstseins, es gibt nur das Bewusstsein. Wenn du glaubst, dass es ein Ich gibt, ist dieses Ich nur ein Gegenstand des Bewusstseins. Das ist alles. Das ist wechselseitige Abhängigkeit.

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Du hast bei der Erklärung der Haltung gesagt, man solle den Blick nach innen richten. Was gibt es da zu sehen? Nichts, nur die Organe. Warum unterscheidest du zwischen nach außen und nach innen schauen?

Es ist doch anders: Im Alltag sind wir die meiste Zeit über damit beschäftigt, die anderen zu betrachten und umher zu gucken. Im Zazen ruht der Blick auf der Wand, aber unsere Aufmerk-samkeit ist auf unser Inneres gerichtet. Wir beobachten uns selbst, beobachten, was in unserem Körper passiert: unsere Atmung, unsere Gefühle, unsere Wahrnehmungen, unsere Gedanken, unsere Wünsche, unsere Motivationen, unseren Geisteszustand, unsere Launen. Und tiefer betrachtet beobachten wir, was die eigentliche Natur von all dem ist. Zum Beispiel, ob sie von meinem Ego erzeugt werden: Bin all das ich?

Das ist die Beobachtung in Zazen. Wenn man den Blick nach innen wendet, ist man aufmerksam auf das, was in einem selbst geschieht. Es ist anders als im Alltag, wo man die anderen anschaut und ständig mit dem beschäftigt ist, was um einen herum passiert. Wenn man daran gewöhnt ist, Zazen zu praktizieren, kann man sehr schnell hin und her wechseln zwischen nach außen blicken und sehen, was in einem passiert. Ich sehe dich zum Beispiel jetzt an und gleichzeitig wird mir bewusst, was ich empfinde, wenn ich dich anschaue.

Es ist wichtig, dass man sich nicht nur nach außen oder nur nach innen wendet. Man muss zwischen außen und innen kreisen, mit einer Bewegung, bei der man schnell zwischen beiden Betrachtungs-weisen wechseln kann.

Ist es auch in Ordnung, tatsächlich die Organe zu betrachten?

Nicht wirklich. Ich weiß, dass man es bei einigen Meditationsformen macht. Es gibt gewisse Meditationstechniken, bei denen man die einzelnen Organe durchgeht, einzelne Teile des Körpers, und seine Energie hierhin oder dahin sendet. Aber das ist zu analytisch und zu willentlich. So etwas machen wir im Zen nicht. Die Beobachtung in Zazen ist keine Beobachtung mit einem Scanner. Man beobachtet nur, was in einem Augenblick erscheint.

Wenn in einem Augenblick mein Herz heftig schlägt, spüre ich das natürlich, oder wenn mir die Leber weh tut, beobachte ich das auch. Aber ich untersuche nicht systematisch meinen Körper, erst meine Füße, dann die Knie, die Hüften, dann die Eingeweide. Manche Meditationstechniken machen das, wir nicht. Es ist zu willentlich, zu systematisch. Wir betrachten einfach nur das, was sich im Bewusstsein zeigt, was erscheint. Das ist alles.

 


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