Wenn man Zazen praktiziert, begnügt
man sich nicht damit, sich auf die Haltung und die Atmung zu konzentrieren.
Man beobachtet auch, was geschieht, und lernt sich so selber kennen.
Die Konzentration auf Haltung und Atmung kann bestimmt den Frieden
des Geistes bringen, aber kein wahres Erwachen. Das Erwachen besteht
darin, die wahre Natur unserer Existenz zu verstehen. Nicht nur
unsere persönlichen Charakteristika zu verstehen, die von
unserem Karma, von unseren alten Konditionierungen abhängen,
die der Grund dafür sind, dass wir anders sind als die anderen,
die aus uns besondere, einzigartige Wesen machen.
Aber was ist die wahre Natur
von all dem? Von diesem Körper, diesem Geist, diesem Karma,
diesem Ego? – Zazen zu praktizieren heißt, sich mit
diesem Koan zu konfrontieren: „Was ist es, das jetzt Zazen
praktiziert?“ - Natürlich bin ich es. Aber was ist
dieses Ich? - Wenn man diese Frage beantworten möchte, wird
man dazu neigen, sich auf seine Geschichte zu beziehen: „Ich
bin jemand, der in diesem Jahr an diesem Ort in dieser Familie
geboren wurde, der diese oder jene Eigenschaften entwickelt hat,
der dieses mag und das nicht mag, der glaubt, so zu sein und nicht
anders.“ Kurz gesagt: der sich eine Identität schafft,
etwas, das ich für beständig, für im Lauf der Zeit
identisch halte.
Wenn man aber versucht, zu erfassen,
was dies zu wirklich ist, was dieses Ich ist – was wird
man antreffen? - Es ist natürlich dieser sitzende Körper.
Ist dieser Körper wirklich ich, gehört er mir wirklich?
Wird er wirklich von meiner Haut begrenzt? - In Wirklichkeit atmet
dieser Körper in jedem Augenblick mit dem ganzen Universum.
Er wird in jedem Augenblick von der grundlegenden kosmischen Energie
genährt. Jedes Teilchen, aus dem er zusammengesetzt ist,
existiert mindestens seit dem Urknall. Dieser Körper ist
die Frucht der völligen Wechselbeziehung von allem, was existiert.
Sein Zustand ändert sich ständig. In jedem Augenblick
werden Tausende Zellen geboren und sterben wieder. In Wirklichkeit
gibt es nichts Beständiges. Nichts, das mir gehört.
So wie das Wasser, das eine Welle bildet, nicht dieser Welle gehört.
Es ist niemals vom ganzen Ozean getrennt.
Wir glauben auf Grund unserer
illusorischen Gedanken, getrennte Wesen zu sein. Deswegen glauben
wir, dass wir in diesem Moment geboren wurden und in einem anderen
Moment sterben werden.
Wenn man in Zazen seinen Geist
beobachtet, sieht man alle Arten von Empfindungen, Wahrnehmungen,
manchmal Gefühle, Erinnerungen. Manchmal denkt man, manchmal
denkt man nicht. Aber keines der geistigen Phänomene, denen
wir begegnen, hat eine feste Natur. Alles wandelt sich ohne Unterlass.
Man kann nichts ergreifen, was ‚Ich’ ist.
Als Nangaku zum ersten Mal Eno
begegnete, fragte Eno ihn: „Was kommt da?“ - Wir müssen
uns von dem Patriarchen befragen lassen und uns in die Position
von Nangaku begeben und uns - wie er selbst - fragen: „Was
kommt da?“ und daraus unser Koan machen, bis wir - wie er
- begreifen, dass es nicht Etwas ist. Es ist nichts, was fassbar
ist. Dann werden wir die Gelegenheit haben, uns von unserem Egozentrismus
zu befreien und die wirkliche Freiheit zu verwirklichen –
die nicht die Freiheit ist, all das zu bekommen, was man sich
wünscht, sondern die Freiheit, authentisch in Harmonie mit
unserer wahren Natur zu sein. Wenn man dies auch nur kurz erfährt,
gibt es kein Hindernis, keine Angst mehr im Geist.
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