Gestern fragte jemand, wie es
um das Subjekt stehe, wenn alles unbeständig und wechselseitig
abhängig sei. Er unterstellte, dass es ein bewusstes Subjekt
jenseits der sich verändernden Phänomene geben muss,
ein getrenntes, permanentes Subjekt, das die Unbeständigkeit
der Dinge und die wechselseitige Abhängigkeit betrachtet.
Einige glauben, dass dieses Subjekt das wahre Selbst ist und verwechseln
es mit der Buddha-Natur. Sie machen aus der Buddha-Natur und aus
dem Selbst geistige Konstrukte und sind in der Dualität zwischen
Subjekt und Objekt, zwischen einem selbst und der Welt gefangen.
Wenn man so denkt, bleibt man Gefangener der grundlegenden Wurzel
der Täuschung. Meister Dogen hat dies sein ganzes Leben lang
kritisiert.
Es ist die natürliche Neigung
unseres Geistes, Objekte zu erzeugen, die er sich dann aneignen
kann. Der Sinn der Praxis des Buddha-Weges liegt genau darin,
uns davon zu befreien. Um diese Befreiung zu verwirklichen, können
wir nicht unser persönliches Bewusstsein benutzen. Denn man
kann das Feuer nicht mit Feuer löschen. Deshalb impliziert
das wirkliche Sich-Selbst-Kennenlernen das Sich-Selbst-Vergessen.
Wenn man sich selbst nicht vergisst, kann man sich selbst nicht
verstehen. Wenn man die bedingte Funktionsweise des Geistes nicht
aufgibt, kann man nicht zur Wirklichkeit erwachen.
Sich auf die Zazen-Praxis konzentrieren,
wie wir es hier tun, auf die Praxis des Gyoji, ist die uns gegebene
Möglichkeit, uns selbst, die bedingte Funktionsweise unseres
Geistes zu vergessen, darüber hinaus zu gehen und so die
Intuition zu entwickeln. Man nennt das manchmal Weisheit, Prajna,
mit einem weiten Blick sehen, mit einem weiten Geist verstehen,
der die Pole all unserer Dualitäten umfasst, der sich nicht
von unseren geistigen Konstrukten täuschen lässt.
Deswegen nennt man dies ‚'Erwachen'.
Als würde man aus seinem Traum erwachen. Wir halten unsere
Vorstellungen für die Wirklichkeit. Aber natürlich sind
Traum und Vorstellung auch Teil der Wirklichkeit. Die Unterschiede,
die Dualität, shiki und ku sind auch Teil der Wirklichkeit.
Sich selbst vergessen, unsere
durch unser Karma begrenzte Sichtweise aufzugeben heißt
durch alle Phänomene erweckt sein zu können. Dieses
Erwachen kann sich in jedem Augenblick des täglichen Lebens
fortsetzen. Denn alle Wesen sind Natur des Erwachens, Buddha-Natur.
Wir können dem nicht entgehen. Meist stellt man sich vor,
es ginge um etwas anderes, um etwas weit Entferntes, Verborgenes.
Zazen praktizieren, an Sesshins teilnehmen ist eine Gelegenheit
mit dem vertraut zu werden, was wir in Wirklichkeit sind: lebende
Buddhas.
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