Fahrt während Zazen damit fort, euch gut auf eure Haltung
zu konzentrieren. Neigt gut das Becken nach vorne, streckt die
Lenden, die Wirbelsäule und den Nacken und zieht das Kinn
zurück. Entspannt die Schultern und den Bauch. Konzentriert
euch auf die waagerechten Daumen. Atmet ruhig durch die Nase ein
und aus. Geht bis an das Ende jeder Ausatmung. Lasst euren Geist
auf nichts verweilen. Kehrt, sobald ein Gedanke euch fesselt,
zur Haltung und zur Atmung zurück. Wenn ihr alle eure Energie
in die Haltung und all eure Aufmerksamkeit in die Atmung legt,
haben diese Gedanken keine große Bedeutung mehr und können
leicht vorüberziehen.
Wenn sie nicht vorüberziehen, könnt
ihr die Beobachtung praktizieren: ‚'Was ist das?' '‚Was
ist dieser Gedanke, diese Wahrnehmung, diese Empfindung?' Wenn
ihr bis auf den Grund dieser Frage geht, stellt ihr fest, dass
alle unsere geistigen Erzeugnisse keine Substanz haben. Sie sind
nur das Spiel der Wechselbeziehungen. So hilft euch die Beobachtung,
die geistigen Erzeugnisse loszulassen. Sie macht sie leicht wie
Wolken.
Was ich hier beschreibe, ist die Praxis der Konzentration
und der Beobachtung, Samatha - Vipassana. Diese beiden Aspekte
existieren in allen Meditationsformen, die von der Praxis Buddhas
inspiriert sind. Sich nur zu konzentrieren kann zu einer vorübergehenden
Entspannung führen. Wenn man aber nicht begreift, dass alles,
was unseren Geist stört, all unsere Bonnos, all unsere Anhaftungen,
ohne Substanz ist, kommen die Bonnos und Anhaftungen zurück,
sobald die Konzentration nachlässt.
Die tiefere und radikalere Methode ist die Unterweisung,
die Kannon Shariputra im Hannya Shingyo gibt. Nicht umsonst rezitieren
wir es täglich. Sie besteht darin klar zu sehen - sho
ken -, dass alles, was unsere Existenz - und die Existenz
des ganzen Universums - ausmacht - Materie, Empfindungen, Wahrnehmungen,
Wille, Bewusstsein - völlig unbeständig und substanzlos
ist und von Beziehungen abhängt, die sich unablässig
ändern. Dies nennt man '‚Leerheit'. Leerheit bedeutet
leer von fester Substanz, aber nicht ohne Existenz.
Buddha und das Hannya Shingyo, lehren die Existenz
ohne Substanz, die Existenz in Wechselbeziehung, die fließende
Existenz ohne Hindernisse, und daher ohne Angst, ohne Anhaftung.
Das Nirvana, das Erlöschen des Leids, das
Erwachen, das das dritte Dharma-Siegel ist, realisiert sich, indem
man die ersten beiden Siegel erkennt und anerkennt, die Unbeständigkeit
und das Nicht-Ich. Wenn man das nur intellektuell versteht, ohne
diese Wirklichkeit durch die Praxis der Konzentration tief unsere
Zellen einzuprägen, erlaubt die Beobachtung nicht das wirkliche
Erwachen, die wirkliche Befreiung.
In der Praxis von Zazen funktionieren Konzentration
und Beobachtung gemeinsam. Aber man muss mit der Konzentration
beginnen, um klar beobachten zu können. Man muss die geistige
Aufgeregtheit beruhigen, damit sich die Turbulenzen des Geistes
legen. Wenn der Wind aufhört, die Oberfläche des Ozeans
aufzuwühlen, beruhigen sich die Wellen und der Ozean wird
bis zur Tiefe völlig klar und seine Oberfläche spiegelt
das ganze Universum. Das nennt man kai-in zanmai, das
Samadhi des Ozeans.
Wenn man sich zwingt, sich zu konzentrieren oder
zu beobachten, ist immer noch ein Ego, immer noch eine dualistische
Funktionsweise des Geistes vorhanden. Das wird das letzte Hindernis
dafür, kai-in zanmai zu realisieren, das Nirvana,
das Satori.
Deshalb muss man während Zazen nach einer
Phase der Konzentration alles aufgeben, überhaupt nichts
mehr machen und einfach Zazen fortfahren lassen: Zazen macht Zazen.
In diesem Zazen gibt es kein Ego mehr, das sich zu konzentrieren
sucht oder irgendetwas beobachten will. Die Trennung, der Dualismus
von Subjekt und Objekt verschwinden.
Das bringt Meister Dogen zu Beginn des Shobogenzo
Kai-in Zanmai zum Ausdruck, wenn er sagt: „Zu wünschen
von der Täuschung zum Nirvana zurückzukehren, bedeutet
niemals die ursprüngliche Wirklichkeit zu suchen.“
Denn solange man die ursprüngliche Wirklichkeit sucht, gibt
es das Ego und sein Verlangen. So macht man die ursprüngliche
Wirklichkeit zu einem Gegenstand, zu einem Gegenstand der Praxis,
wohingegen sich die ursprüngliche Wirklichkeit doch nur in
der Aufgabe des Egos manifestiert, in der Praxis ohne Objekt,
ohne Gegenstand – und ohne Subjekt – in der Praxis
von mushotoku.
Dies ist die Essenz der Unterweisung des Hannya
Shingyo, Buddhas und aller Dharmavorfahren und Dharmavorfahrinnen.
Und Meister Dogen fügt hinzu: „Die
gewohnheitsmäßigen Hindernisse auf dem Weg zu zerschlagen,
ist nicht nur die Funktion Buddhas und der Dharmavorfahren, sondern
auch die von kai-in zanmai.“
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