In diesem Sesshin haben wir mehrere Stunden vor
der Wand verbracht, um Zazen zu praktizieren. Wir haben gelernt,
völlig mit uns vertraut zu werden. Sich selbst kennen zu
lernen ist die Essenz von Buddhas Weg. Man erkundet nicht den
Weg, man erkundet nicht Buddha, sondern sich selbst. Sich selbst
studieren ist der Weg Buddhas. Das ist es, was er gezeigt hat.
Diesen Weg hat er gezeigt, indem er ihn selber verwirklichte.
Wenn man sich selbst in der Tiefe
erkundet, entdeckt man, dass die Vorstellungen, die man von sich
selbst hat, nicht das wahre Selbst sind. Unsere Vorstellungen,
unsere Gefühle, unsere Wahrnehmungen ändern sich ständig.
Sie hängen völlig von Umständen ab, von den Wechselbeziehungen,
in denen wir uns befinden.
Unser Ego können wir nicht
ergreifen. Es ist nicht etwas, von dem wir sagen können:
„Das bin ich.“ Denn alles, was unseren Körper
und unseren Geist bildet, gehört uns nicht. Es gehört
zum ganzen Universum, genauso wie alle Wassertropfen, die eine
Welle bilden, in Wirklichkeit zum weiten Ozean gehören. Wir
sind einfach eine Form auf der Oberfläche dieses Dharma-Ozeans.
Und wir sind der ganze Ozean, ohne Trennungen. Man kann dies begreifen,
wenn man alle begrenzten Vorstellungen aufgibt, die man sich von
sich selber macht.
All unsere Existenzängste,
unsere Leiden kommen daher, dass wir uns mit etwas zu Kleinem,
mit etwas Begrenztem identifizieren. Dabei fühlen wir uns
zerbrechlich und versuchen unablässig, unser Ego zu stärken,
um Sicherheit zu erlangen. Wenn man versteht, dass diese Anstrengungen
völlig zwecklos sind, kann man sie aufgeben und sich völlig
entspannen. Sich selbst vergessen heißt, alle illusorischen
Vorstellungen aufgeben, die man sich von sich selber macht. Dann
kann man auch alle Gefühle aufgeben, die mit diesen illusorischen
Vorstellungen verbunden sind: die Angst zu verlieren, die Angst
Schaden zu nehmen, die Angst vor dem Sterben, die Angst nicht
das zu bekommen, was man sich wünscht.
Alle Arten von Sorgen und Unruhe
entstehen aus der Anhaftung an dieses kleine Ego. Buddha sprach
von den drei Giften. Sie sind Ursache aller Bonnos, aller Leiden
und aller Anhaftungen. Der wesentliche Punkt ist unsere Unwissenheit
über das, was wir wirklich sind. Das ist das erste und hauptsächliche
der drei Gifte. Die buddhistische Unterweisung, die Zen-Unterweisung,
hat nur ein einziges Ziel: diese Unwissenheit aufzulösen.
Das nennt man Erwachen. Aus seinen Illusionen erwachen und sie
fallenlassen, zur Wirklichkeit erwachen und sich mit ihr wahrhaft
harmonisieren, nicht nur auf intellektueller Ebene.
Zen ist keine Ideologie. Zen
ist die konkrete, wirkliche Erfahrung dessen, was der Kern unseres
Lebens ist. Genau das ist es, was wir durch Zazen verwirklichen
können. Und diese Verwirklichung wird zur Quelle unserer
täglichen Handlungen, zu unserer erwachten Seinsweise in
dieser Welt, zu einer Art und Weise, in Harmonie mit der kosmischen
Ordnung zu leben.
Es ist Aufgabe der Bodhisattvas,
diese Erfahrung mit den anderen zu teilen. Diese Aufgabe ist keine
Pflicht, sondern natürlicher Ausdruck des Erwachens zum wirklichen
Leben, zum Leben ohne Trennungen, ohne Dualitäten. Teilen
ist dann kein Opfer. Das ganze Leben ist teilen. Wir leben nur,
weil wir die Energie des Kosmos mit allen Wesen teilen. Wenn wir
dieses Teilen ins Zentrum unseres Lebens stellen, wird unser ganzes
Leben das Umsetzen des Erwachens. Und alle Ereignisse, alle Phänomene,
denen wir begegnen, bestätigen dieses Erwachen, denn sie
manifestieren alle dieselbe Wirklichkeit, dieselbe Erfahrung.
Meister Dogen drückt dies
in einigen Sätzen aus, die das Herz von Genjo Koan bilden.
Er sagt: „Den Weg Buddhas zu erkunden heißt, sich
selbst zu erkunden. Sich selbst zu erkunden heißt, sich
selbst zu vergessen. Sich selbst zu vergessen heißt, von
allen Daseinsformen bestätigt zu werden.“
Von allen Existenzen erweckt
zu werden bedeutet, Körper und Geist fallen zu lassen, Körper
und Geist von allen Anhaftungen zu befreien und gleichzeitig den
anderen zu helfen, sich von ihren Anhaftungen an Körper und
Geist zu befreien. So verschwindet jede Spur von Satori. Und dieses
Satori ohne Spuren wirkt weiter ohne Ende.
Das erwachte Leben ist jenseits
vom Satori, das heißt jenseits von der Anhaftung an eine
Erfahrung. Denn diese Erfahrung setzt sich in jedem Augenblick
fort und ist immer gegenwärtig, solange man sich nicht an
sie klammert, solange man sie nicht mit seinem persönlichen
Bewusstsein einschränkt.
„Macht Zazen ewig weiter!“
war die letzte Unterweisung von Meister Deshimaru. Das heißt,
mit der Praxis fortfahren, die uns mit dem Weg in Einklang bringt,
jenseits von jedem persönlichen Bewusstsein, jenseits aller
Grenzen, unbewusst und natürlich.
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