Buddha Shakyamuni hatte während
seiner früheren Leben als Bodhisattva verschiedene Meister.
Als Shakyamuni sich entschloss, das Höchste Erwachen zu suchen,
praktizierte er Meditation unter der Anleitung zweier verschiedener
Meister. Bei Alara Kalama praktizierte er die Meditation, die
dahin führt, alle Sinnesobjekte zu übersteigen und im
Nichts zu verweilen. Aber obwohl er innere Ruhe verwirklichte,
hat er nicht das dauerhafte Erwachen erlangt, das dem Leiden ein
Ende setzt. Er wandte sich daher einem anderen Meister, Uddaka,
zu, der eine Meditation lehrte, die auf einem Zustand der Abwesenheit
sowohl von Wissen als auch von Nicht-Wissen basierte. Aber auch
dies war nicht das wirkliche Erwachen, das Shakyamuni suchte.
Obwohl beide Meister ihn zu ihrem Nachfolger ernennen wollten,
lehnte er dies ab, da er sich nicht mit einer unvollständigen
Verwirklichung zufrieden geben wollte. Shakyamuni war von dem
belebt, was man Bodhaishin nennt, das Gelübde, das Höchste
Erwachen zu verwirklichen, das wirklich allen Wesen hilft, sich
von den Leiden des Lebens und des Todes zu befreien. Die Meister,
mit denen er praktiziert hatte, hatten ihn auf dem Weg begleiten
können und später übernahm er bestimmte
Aspekte ihrer Praktiken in seine eigene Lehre -, aber wollte sich
damit nicht begnügen.
Nach einer Zeit der Askese und Kasteiungen verwirklichte Shakyamuni
schließlich das Höchste Erwachen, allein, in Zazen
unter dem Bodhi-Baum. Das zeigt, dass ein Meister uns bis zu einem
bestimmten Punkt begleiten kann, dass er aber nicht das Erwachen
an unserer Stelle verwirklichen kann. Letztlich ist es Zazen,
das das Erwachen verwirklicht und verwirklichen lässt. Nach
seinem Erwachen erklärte Shakyamuni, dass er lediglich einen
alten Weg wiederentdeckt hat, den alle früheren Buddhas gegangen
waren. Er hat ihn also nicht selbst geschaffen. Wenn er ihn nur
alleine wiederentdecken konnte, so deshalb, weil alle Menschen
die Spur dieses Weges verloren hatten.
Dank der Lehrbemühungen Buddha Shakyamunis haben wir nunmehr
das Dharma, um uns zu leiten, und die Linie der Meister, die diese
Unterweisung von Person zu Person weitergegeben haben. Aber diese
Meister der Weitergabe sind Fahrzeuge des Dharma und nicht mit
einer besonderen Macht ausgestattete Autoritäten. Diesbezüglich
hat Buddha Shakyamuni sich immer geweigert, irgendeine Form von
Macht über seine Schüler auszuüben, und wir müssen
sorgfältig über seine letzten Lehren meditieren, die
dem Maha parinibbana sutra entnommen sind:
"Der Ehrwürdige sagte: "Was erwartest Du, Ananda,
noch von mir für die Gemeinschaft der Bhikkhu? Ich habe die
Doktrin gelehrt ohne einen Unterschied zwischen dem Esoterischen
und dem Exoterischen zu machen. In den Lehren des Tathagata gibt
es, Ananda, nichts der geschlossenen Faust des Meisters Vergleichbares.
Wenn jemand meint, er leite die Gemeinschaft der Mönche,
oder wenn jemand meint, die Gemeinschaft der bhikkhu hänge
von ihm ab, so muss diese Person der Gemeinschaft Instruktinen
geben. Dennoch kommt dem Tathagata nicht die Idee ich leite
die Gemeinschaft der bhikkhu oder die Idee die Gemeinschaft
der bhikkhu hängt von mir ab. Warum also, Ananda, gibt
der Thatagata Instruktionen? Ich, Ananda, bin verbraucht, alt
und mit Jahren beladen. Das Ende meiner Tage ist gekommen. Ich
bin 80 Jahre alt. Genauso, wie ein alter Wagen nur weiter genutzt
werden kann, wenn die Riemen sehr verstärkt werden, so nehme
ich wahr, dass der Körper des Tathagata nur mit Hilfe gehen
kann. Nur wenn der Tathagata ohne Aufmerksamkeit für irgendein
mentales Bild in der geistigen Konzentration ohne jedes
Zeichen verweilt, in der alle Empfindungen zu existieren
aufgehört haben, nur dann fühlt sich der Körper
des Tathagata wohl. Verbleibe also, Ananda, indem Du aus Dir selbst
Deine Insel machst; verweile, indem Du aus Dir selbst Deine Zuflucht
machst, aber aus nichts anderem. Wie, Ananda, kann ein bhikkhu
seine eigene Insel sein? Wie kann er verweilen, indem er aus sich
selbst seine eigene Zuflucht macht, aber nicht aus jemand anderem?
Wie kann er verweilen, indem er aus der Doktrin seine eigene Zuflucht
macht, aber aus nichts anderem?"
Und Buddha erinnert Ananda an seine Unterweisung bezüglich
der Praxis der rechten Achtsamkeit.
Ebenso im Kalama-Sutra: "Lasst Euch nicht von Berichten leiten,
nicht von religiösen Traditionen, nicht von dem, was Ihr
sagen gehört habt (...), nicht von dem Gedanken, dass diese
religiöse Persönlichkeit unser spiritueller Meister
ist. Wenn Ihr jedoch selbst spürt, dass bestimmte Dinge
ungünstig sind (...), dass diese Dine zu Schlechtem und zum
Unglück führen, gebt sie auf."
Das ganze zeigt deutlich, dass die Meister-Schüler-Beziehung
in der buddhistischen Tradition zu der das Zen gehört
nicht auf der Unterwerfung des Schülers unter die
Autorität des Meisters aufbauen sollte. Die Aufgabe des Meisters
ist es, den Schüler auf dem Weg der Befreiung zu leiten und
sein Erwachen zu bestätigen, um so zu ermöglichen, dass
sich seine Weitergabe auf rechte Weise fortsetzt, d.h. auf einer
wirklichen Erfahrung und nicht auf intellektuellem Wissen oder
dogmatischen Vorstellungen basiert.
Die Zen-Schule führt ihre Weitergabe auf die I shin den shin
Beziehung, die Beziehung von meinem Geist zu Deinem Geist, zwischen
Buddha und Mahakashyapa auf dem Geierberg zurück. Buddha
hatte aufgehört zu predigen. Er nahm eine Blume und drehte
sie zwischen seinen Fingern. Alle Zuhörenden waren fassungslos,
nur Mahakashyapa lächelte. Buddha sagte: Ich besitze
das Auge des Schtzes des wahren Gesetzes, den heiteren Geist des
Nirvana und ich gebe ihn an Mahakashyapa weiter." Dieses
Ereignis ist Teil der mündlichen Weitergabe der Zen-Schule.
Dass dieses Ereignis nicht in den Sutren der anderen Schulen erzählt
wird, beweist nicht, dass es nicht stattgefunden hat. Die Sutren,
die bis in unsere Zeit erhalten wurden, geben nur einen Teil der
unendlich vielen Lehren wieder, die Buddha während 45 Jahren
gegeben hat.
Am wichtigsten ist es, die Bedeutung dieses Ereignisses zu verstehen.
Meister Dogen hilft uns dabei mit seinen Kommentaren im Shobogenzu
Udonge. Er sieht in ihm das Verschmelzen der gemeinsamen Erfahrung
völliger Aufmerksamkeit für die Wirklichkeit, so wie
sie ist, für Immo, das das Herz der Praxis von Shikantaza,
von Zazen ist.
Alle Schulen stimmen darin überein, dass Mahakashyapa nach
dem Tode Buddhas die Leitung der Sangha übernommen hat, indem
er dem ersten Konzil vorstand. Buddha hatte ihm sein Vertrauen
ausgesprochen, indem er während seiner Predigten seinen Sitz
mit ihm teilte.
Später hat die Rinzai-Schule proklamiert, dass das Zen eine
besondere Weitergabe von Geist zu Geist außerhalb der Sutren
sei, die sich weder auf Schriften noch auf Worte stütze.
Aber der sechste Patriarch Hui Neng (auf japanisch Eno) hatte
bereits diese Auffassung kritisiert, indem er sagte: Diejenigen,
die an der Leere hängen, setzen die Schriften herab, indem
sie sagen, es handele sich nur um Wörter und Buchstaben.
Aber jeder, der das behauptet, widerspricht sich mit seinem eigenen
Vortrag, denn der ist schließlich eine Form von Buchstaben
und Wörtern."
Was unsere Soto-Tradition angeht, so ist sie gemeinsam mit Dogen
der Auffassung, dass die Sutren Ausdruck des erwachten Geistes
Buddhas und nicht von diesem Geist getrennt sind. Um das zu verstehen,
bedürfen wir jedoch der Erhellung durch die Praxis unter
der Leitung eines wirklichen Meisters.
Oft hat man das Dharma, das in Worten ausgedrückt und mit
dem Körper praktiziert wird, mit einem Heilmittel gegen Täuschungen
und Leiden verglichen. Wie bei allen starken Medikamenten bedarf
es einen guten Arztes, um sie zu verschreiben. Dies ist die Rolle
Buddhas und der Meister, die dank der Kette der Weitergabe und
dank ihrer eigenen Verwirklichung des Erwachens die Schüler
mit Buddha verbinden. Aber das darf nicht dazu führen, dass
wir vergessen, was einer der bedeutentsten Meister dieser Weitergabe,
Hui Neng, sagte: Es ist schlecht, auf der Idee zu beharren,
dass wir die Erlösung nicht ohne den Rat frommer oder gebildeter
Menschen erlangen können. Warum? Weil wir uns dank der uns
innewohnenden Weisheit erhellen können."
Einem Jungen, der ihn gefragte, ob er selbst seine wahre Natur
verwirklicht habe, antwortete Hui Neng: Selbst wenn ich
sie kenne, hindert Dich das nicht daran, in der Täuschung
zu verweilen. Genauso: wenn Du Deine eigene Natur kennst, nützt
mir Deine Kenntnis nichts. Statt jemand anderes danach zu fragen,
warum sie nicht selbst entdecken? Sobald man von seiner eigenen
Natur sprechen hört, muss man sie verwirklichen."
Es gibt verschiedene Arten von Begegnungen mit dem Meister. In
der Soto-Schule nennt man die wichtigste Sanzen, gemeinsame Praxis
im Dojo, auch im Gyoji, der Praxis im Tempel-Alltag. Aber es gibt
auch die Teilnahme an Vorträgen und an Kusen, die öffentlichen
und privaten Frage-Antwort-Zeiten (Mondos bzw. Dokusan). Es gibt
auch die informelle, spontane Begegnung.
Auch wenn es vor allem die Rolle des Meisters ist, den Schüler
in seiner Praxis zu leiten, indem er seine Haltung korregiert,
ihm hilft, seine Täuschungen zu erhellen und sich von seinen
Anhaftungen zu befreien, gibt es auch manchmal den abrupen Eingriff,
der dazu führt, die Bewußtseinsebene zu wechseln. Viele
paradoxe Aufforderungen, von denen die Geschichte des Zen voll
ist, gehören zu dieser Form der Weitergabe, z.B. Zeige
mir Dein wahres Gesicht vor der Geburt Deiner Eltern!" oder
Geh raus, nicht durch die Tür, nicht durchs Fenster,
aber geh raus!" oder Wenn Du verstehst, dreißig
Stockschläge, wenn Du nicht verstehst, dreißig Stockschläge!"
Diese Koans helfen, unsere gewöhnliche geistige Funktionsweise
aufzugeben und die Intuition für einen Weg jenseits dualistischer
Kategorien zu entwickeln. Aber dieser Weg wird am besten durch
das Hishiryo-Bewusstsein von Zazen verwirklicht.
Die wesentliche Aufgabe des Meisters besteht ebenfalls darin,
die drei Pfeiler des Zen weiterzugeben, die Meister Deshimaru
hervorgehoben hat:
- Shikantaza, einzig sitzen,
- Hishiryo, jenseits von Gedanken und Nicht-Gedanken,
- Mushotoku, ohne einen Verdienst zu erwarten.
Ein Zen-Meister ist nicht:
- ein Guru, Gegenstand von Verehrung und Verteiler von Verdiensten.
- eine allmächtige Autorität, der Gehorsam entgegengebracht
werden muss. Als Eka z.B. Sanpai vor Bodhidharma machte und so
tief sein Verständnis der Essenz seiner Unterweisung zum
Ausdruck brachte in einer Bewegung des Loslasssens von Ego-Vorstellungen
und davon, etwas zu erhalten, von einem zu erfassbaren, mit Worten
erklärbaren Erwachen.
- Er ist kein selbst-proklamierter Meister, sondern von einem
Meister der Weitergabe bestätigt.
- Er wird vom Schüler anerkannt, aber es ist nicht der Schüler,
der ihn zum Meister macht.
- Er ist weder der Psychotherapeut seiner SchülerInnen, noch
der Prälat einer neuen Kirche.
- Er begnügt sich nicht damit, zu lehren. Er gibt die Verwirklichung
der Unterweisung in seiner eigenen Praxis weiter.
- Er kann das Erwachen nicht verleihen. Jede, jeder muss es selbst
verwirklichen. Er zeigt nur den Weg, so wie es Dogen zu Beginn
des Bendowa schreibt: Die Buddhas haben alle ein ausgezeichnetes,
wunderbares Mittel, jenseits der relativen Mittel, um das Dharma
(die Wahrheit) unverfälscht vom einen zum anderen weiterzugeben
und das höchste und vollständige Erwachen zu verwirklichen.
Dies wird ohne Abweichung von Buddha zu Buddha weitergegeben dank
des Samadhi von Zazen (Jijuyu zanmai), das der Schlüssel
dazu ist."
Ein Zen-Meister ist:
- Ein wirklicher Schüler, der tief den Sinn der Praxis verwirklicht
hat und von einem bestätigten Meister zur Weitergabe autorisiert
wurde.
- Er ist ein Begleiter, ein spiritueller Freund, der den Weg zeigt
und den Schüler begleitet.
- Er verkörpert das, was er lehrt, insbesondere die Fähigkeit,
seine eigenen Täuschungen zu erhellen. Indem er nicht vollkommen"
ist, ermöglicht er jedem, ohne Schuldgefühle seine Schatten
zu beleuchten. Er kann sich auch selbst in Frage stellen, denn
auch er ist auf dem Weg.
- Er verhindert, dass seine SchülerInnen sich auf den Holzwegen
eines falschen Verständnisses verirren.
- Er bezeugt die Möglichkeit eines erwachten Lebens, hier
und jetzt, in Übereinstimmung mit der Praxis, die er lehrt.
Die Meister-Schüler-Beziehung wurde von Meister Dogen im
Shobogenzo Katto dargestellt, wo er sie mit der Beziehung einer
Glyzinie mit ihrer Stütze vergleicht. Das Gewirr der Glyzinie
steht für die Täuschunge, das dualistische Mentale,
die Schwierigkeiten des Geistes, der nicht erwacht ist. Katto
wird also als die Täuschung angesehen, die es abzuschneiden
gilt. Aber man muss auch sehen, dass es die Täuschungen sind,
die uns treiben, den Weg zu praktizieren, und dass es auf dem
Weg keine Täuschungen gibt, die man abschneiden muss, da
sie in ihrer wirklichen Natur, als leer, gesehen werden. Aber
nur in der Konfrontation mit der Welt der Täuschungen knüpft
sich die Verbindung Meister-Schüler, erscheint eine vertraute
Kommunion und verwirklicht sich der Weg.
Es heißt, dass wenn der Schüler bereit ist, der Meister
erscheint. Bereit sein bedeutet, den Weg wirklich mit seinem ganzen
Sein zu suchen, als das wichtigste im Leben. Auf diesem Weg glauben
manche, nur dem folgen zu können, was sie ihren inneren Meister
nennen, und benutzen zur Rechtfertigung Äußerungen
wie die oben zitierte von Hui Neng. Die Gefahr hierbei liegt darin,
nur seinem täuschenden Ego zu folgen und ein X nicht von
einem U zu unterscheiden. Wenn man jedoch lange einem wirklichen
Meister gefolgt ist, verinnerlicht man seine Unterweisung, und
man kann den Dialog mit ihm fortsetzen selbst dann, wenn er nicht
anwesend ist.
Man ist bereit, Schüler zu werden, wenn man sich seiner Grenzen
bewusst wird. Sie bescheiden anzuerkennen ist bereits ein erster
Schritt hin auf das Erwachen. Er führt dazu, dass wir wünschen,
von jemandem geleitet zu werden, der auf dem Weg bereits weiter
vorangekommen ist. Aber derjenige wird uns immer wieder zu uns
selbst zurück schicken, uns auffordern, unsere eigene Buddha-Natur
zu erkennen und zu verwirklichen und aufzuhören, die Wahrheit
bei anderen zu suchen. Die Parabel vom Sohn des Reichen im Lotussutra
bringt das auf ausgezeichnete Weise zum Ausdruck.
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