Von Freitag, dem 28. August,
bis Sonntag dem 30. August 2000, fand in Belfast, Nordirland,
ein Retreat unter Leitung von Paul Haller vom Zen-Zentrum San
Francisco statt, an dem etwa 35 Personen teilnahmen.
Die Hälfte der Teilnehmenden kam aus den USA. Sie waren
einer Einladung von Michael O´Keefe, ZPO, gefolgt, dem
Initiator des Retreats. Alle von ihnen waren in der einen oder
anderen Weise mit Irland verbunden, sei es, dass ihre Vorfahren
aus Irland stammten, sei es, dass sie selbst aus Irland ausgewandert
waren - wie Paul Haller, der seit etwa 25 Jahren in den USA
lebt, und viele Verwandte in Belfast hat. Acht Teilnehmende
stammten aus der Republik Irland, etwa die gleiche Zahl kam
aus Nordirland, drei Personen kamen aus Deutschland.
Am Freitagabend stellten sich die Teilnehmenden vor und sprachen
darüber, warum sie an dem Retreat teilnahmen. So unterschiedlich
es die einzlnen Personen es auch formulierten, gemeinsam war
das Interesse, zu einen Beitrag zum Frieden in Nordirland zu
leisten.
Der Samstagmorgen begann mit gemeinsamem Zazen. Im Anschluss
daran legten Terry, Frank, William und Alan Zeugnis ab über
ihr Leben in Nordirland. Während Terry und Frank Katholiken
sind und für die Loslösung Nordirlands von Großbritannien
eintreten, sind William und Alan Protestanten und Mitglieder
des Orange-Orders, der möchte, dass Nordirland Teil Großbritanniens
bleibt. Aber es waren nicht diese Unterschiede, die im Vordergrund
standen. In den bis zu 45 Minuten langen, aber nie als zu lang
empfundenen, Äußerungen der einzelnen wurde die Gemeinsamkeit
des erfahrenen Leids nicht nur der zuhörenden Gruppe, sondern
auch den vier Männern deutlich: Im Mittelpunkt aller Aussagen
stand die Darstellung dessen, was sie erlebt haben. Jeder der
vier hatte nahe Familienangehörige aufgrund von Anschlägen
der jeweils anderen Seite verloren. Das Haus, in dem William
wohnte, war fünfmal Ziel von Anschlägen. Alans Mutter
verlor über einem Anschlag ihre geistige Gesundheit. Terry
sagt von sich, dass er früher Brandbomben basteln als Tee
kochen konnte. Darüber, dass sich das Leid auf beiden Seiten
nicht unterscheidet, waren die vier sich zuvor nicht im klaren
gewesen. Dies gemeinsam festzustellen, führte dazu, dass
es nicht beim Zeugnis Ablegen blieb, sondern ein Gespräch
folgte, das von Respekt und Verständnis gezeichnet war.
Obwohl die Zeit zum Mittagessen schon weit überschritten
war und die vier zu anderen Terminen mussten, zogen sie das
Ende des Gesprächs immer weiter hinaus. Deutliches Zeichen
dafür, wie wichtig es ihnen war.
Alle Teilnehmenden waren beeindruckt von der Offenheit, mit
der die vier vor der ihnen völlig unbekannten Gruppe sprachen.
Diese Offenheit ist um so bemerkenswerter, als das Gesagte durchaus
eine Gefahr für die Beteiligten darstellen könnte,
sowohl von der jeweils anderen Seite als auch von der eigenen:
Das Retreat fand im Saint Clemens Retreat-Center, einer katholischen
Einrichtung statt. Das Betreten einer katholischen Einrichtung
und die Mitwirkung an Veranstaltungen dort ist Mitgliedern des
Orange-Orders untersagt.
Nachmittags besuchte die Gruppe katholische und protestantische
Stadtteile von Belfast, die durch ein Niemandsland voneinander
getrennt und nur über eine durch hohe automatische Metalltore
abriegelbare Straße erreichbar sind. Auf beiden Seiten
waren große Wandmalereien zu sehen, die die jeweiligen
„Helden“ verherrlichten. Überwogen im katholischen
Stadtteil die Portraits von Personen, die z.B. während
des Hungerstreiks im Gefängnis gestorben waren, waren die
Darstellungen auf protestantischer Seite erheblich martialischer:
An stilisierten Gräbern standen ebenso stilisierte über
und über bewaffnete Männer völlig in schwarz
gekleidet mit schwarzen Gesichtsmasken, die nur über Augenschlitze
verfügten. Ein besseres Symbol für die Anonymität
der Gewalt ist wohl kaum denkbar. Auffällig auch die Vielzahl
von Flaggen auf protestantischer Seite, die zum einen die Verbundenheit
mit den Paramilitärs (je nach Sichtweise `Verteidiger der
gerechten Sache´oder `Terroristen´) als auch mit
Großbritannien zum Ausdruck bringen sollten.
Abends meditierten die Teilnehmenden wieder und legten darüber
Zeugnis ab, wie sie den Tag erlebt hatten.