Ku ist die Ebene, auf der es keine Trennung gibt, kein Leben
und keinen Tod, kein Mein und kein Dein, die Ebene, auf der
wir alle verbunden sind, auf der wir sehen, dass "Ich"
als getrennte Einheit nicht existiert.
Buddha Shakyamuni ging es um das Erwachen zu der Ebene von
ku, zu der Ebene, auf der es weder Buddhismus noch Nicht-Buddhismus,
weder Wege noch Umwege gibt, zur wahren Wirklichkeit jenseits
aller Begriffe.
MEIN WEG
Wie bin ich zum Buddhismus gekommen?
Ich weiß es nicht wirklich, weil ich die Wirklichkeit
als Ganze nicht überschaue. Jede Antwort, die ein "So
war es" vorgeben würde, würde eine Kausalität
konstruieren, die nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit abbilden
würde, und somit ungenau, falsch wäre.
Spielen z.B. folgende Ereignisse eine Rolle auf meinem Weg
zum Buddhismus? Oder eher doch nicht?
VIER MOSAIKSTEINCHEN MEINES LEBENS
Ich schätze, es war 1956 oder 1957. Ich war vier oder
fünf Jahre alt. Karneval stand bevor. Ich sollte eine Pistole
bekommen. Mein Großvater ging mit mir in ein Geschäft
und kaufte eine schöne silbernfarbene Zündblättchen-Pistole.
Stolz wie Oskar verließ ich mit der Pistole in der Hand
das Geschäft. Draußen lief ein Hund. Ich legte an,
drückte ab, "PÄNG". Im selben Augenblick
hing der Hund in meinem Arm. Der Biss war schmerzhaft. Ich ließ
die Pistole fallen und habe nie mehr eine Pistole angefasst.
- Meine Kriegsdienstverweigerung führe ich bis auf dieses
Ereignis zurück. Aber hat es auch Einfluss darauf gehabt,
dass ich mich dem Buddhismus zuwendete?
Am Gymnasium habe ich mich für Astronomie interessiert.
Das hatte auch den praktischen Vorteil, dass ich einen Grund
hatte, nachts aufzubleiben und erst gegen Mitternacht nach Hause
kommen musste. (Ich nutzte die Abendstunden nicht nur, um Sterne
am Himmel zu betrachten.) - Hat die Befassung mit Sternen, Galaxien,
dem Raum jenseits der Erde mich für das Unbekannte, das
nicht Sagbare geöffnet?
Einer meiner Onkel war katholischer Pfarrer. In die Kirche
zu gehen, gehörte in meiner Familie zu den Sonn- und Feiertagen
wie Kaffee und Kuchen. Je älter ich wurde, desto weniger
glaubhaft waren für mich viele kirchliche Lehräußerungen.
Sobald ich 18 war, trat ich aus der Kirche aus. - Hat meine
katholische Erziehung und meine anschließende Trennung
von der katholischen Kirche eine Lücke hinterlassen, die
später der Buddhismus füllte? Gibt es so etwas wie
ein religiöses Grundbedürfnis?
Ich war lange Jahre politisch aktiv, habe zuerst gegen den
Vietnamkrieg und gegen die Macht des Springer-Verlages demonstriert,
wurde Mitglied in der SPD, später bei den Grünen.
Eine Zeit lang leitete ich eine Initiative gegen Pseudo-Krupp,
eine Atemwegserkrankung bei Kleinkindern, die zum Ersticken
führen kann. Wir setzten durch, dass in Solingen ein Immissionskataster
erstellt wurde, um zu überprüfen, wo sich die Abgase
des Solinger Müllverbrennung niederschlugen, und erreichten,
dass eine bessere Abgasreinigung erfolgte. - Die RaucherInnen
unter den Eltern weigerten sich aber, die Auswirkungen ihres
Verhaltens auf den Schadstoffgehalt der Luft in den Wohnungen
untersuchen zu lassen. Ich verließ die Initiative. - Wir
neigen dazu, nach außen zu sehen, und wehren uns oft,
nach innen zu schauen. Habe ich im Buddhismus diese Innensicht
gesucht und gefunden?
MEIN WEG: KEIN WEG
Mitte der achtziger Jahre, ich war inzwischen verheiratet und
hatte eine vierjährige Tochter, brauchte ich Abstand, Zeit
zum Nachdenken. Ich ließ mich für ein Jahr von meinem
Beruf als Studienrat beurlauben und fuhr in gut sechs Wochen
mit dem Fahrrad bis nach Helsinki.
Schon immer hatte mich die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt.
Eine Antwort, eine ANTWORT hatte ich nicht gefunden. Während
ich an der norwegischen Küste Stunde um Stunde in die Pedale
trat, wurde mir plötzlich klar: Der Sinn des Lebens ist
leben. Nichts sonst. (Seither hat sich mir die Frage nach dem
Sinn des Lebens nicht mehr gestellt,)
Von Helsinki aus fuhr ich mit dem Zug nach Moskau, dann mit
der Transsibirischen Eisenbahn durch die Sowjetunion und anschließend
mit dem Schiff bis nach Japan, wo ich weitere zwei Wochen radelnd
verbrachte, bevor ich zu meiner Familie zurückkehrte.
In Japan besuchte ich Tempel und begegnete buddhistischer Kunst,
aber nicht buddhistischer Lehre.
Mit ihr kam ich erst nach meiner Rückkehr aus Japan in
Kontakt: Ich war in meinem Leben schon viel gereist, war in
vielen Ländern gewesen. Noch nie hatte ich aber den Eindruck
gehabt, so wenig von einem Land verstanden zu haben wie von
Japan. Vieles schien amerikanisiert, aber es war spürbar,
dass in der Tiefe etwas anderes sein musste. Ich besorgte mir
Bücher über Japan und begann zu lesen. In einem der
Bücher stieß ich auf das Wort "Zen", das
als Bezeichnung für das genannt wurde, was in den Tempeln
Japans praktiziert würde. War das die Quelle für das
Verständnis Japans? Kurz darauf hörte ich, dass es
in Solingen eine Gruppe gäbe, die Zazen praktiziert. Ich
rief die Person an, die in der Kontaktadresse genannt wurde
und wir vereinbarten einen Einführungstermin.
Ich kam in eine Zwei-Zimmer-Wohnung deren Besitzer gerade dabei
war, das Mobiliar seines Wohnzimmers auf den Speicher zu tragen.
"Ich mache aus meinem Wohnzimmer ein Dojo," erklärte
er. "Das ist der Ort, wo Zazen praktiziert wird."
Er zeigte mir die Zazen-Haltung, die Gehmeditation "Kinhin"
und den Ablauf der Zermonie. Dann kamen vier oder fünf
weitere Leute und wir saßen zweimal 40 Minuten, unterbrochen
von Kinhin. Die Beine schmerzten, nach den ersten 40 Minuten
konnte ich kaum aufstehen.
Aber das war nicht so wichtig, wichtiger war das klare Gefühl,
angekommen zu sein. Trotz der Schmerzen war das Bewusstsein
da: "Genau das ist es. Das wirst Du weitermachen."
Seither praktiziere ich Zazen.
Im Rückblick kann man natürlich die Frage stellen:
"Angekommen wo?" - Ich kann die Frage nicht beantworten.
Vielleicht am Ort jenseits von Fragen und von Antworten.