Vom 11.-15.9.1997 fand in Köln
und Düsseldorf ein Straßen-Sesshin unter der Leitung
des amerikanischen Zen-Meisters Bernard Tetsugen Glassman Roshi
statt.
All Ihr hungrigen Geister
in den zehn Richtungen, bitte versammelt Euch hier. Eure Not
teilend, biete ich Euch diese Nahrung dar. Ich hoffe, daß
sie all Euren Durst und Hunger stillt.
Mehrmals täglich rezitieren wir diese Einladung an die
hungrigen Geister, die Teil des Tors des Süßen
Nektars ist. Wir, das sind 4 Frauen und 7 Männer aus
den USA, Frankreich und Deutschland. Wir haben uns in Köln
getroffen, um am ersten Straßen-Sesshin in Deutschland
teilzunehmen. 5 Tage lang werden wir auf der Straße leben.
Wir sind keine Obdachlosen. Wir sind für ein paar Tage
aus unserem normalen sozialen Umfeld herausgetreten und teilen
bestimmte Erfahrungen der Menschen auf der Straße.
Wir bitten Passanten um etwas Geld für Essen und Trinken.
Die meisten würdigen uns keines Blicks. Wieviel Überwindung
hat es uns gekostet, überhaupt zu bitten! Aber viele Bitten
verhallen ungehört. Wie die Ablehnung ertragen, die sich
in Mimik und Gestik der Passanten ausdrückt? Könnten
wir das Wochen, Monate, Jahre ertragen? Wenn nicht, was dann?
-
Nach ein paar Stunden haben wir dann doch einige Mark zusammen.
Alle, die diese Gabe
empfangen, bitte gebt deren Verdienste an alle Buddhas und an
alle Schöpfungen in Raum und Zeit zurück: Auf diese
Weise werden sie vollständig gesättigt sein.
Aber auch andere Erfahrungen machen wir: Eine Kölnerin,
selbst arbeitslos, lädt uns zum Kaffee ein. Ein Pizzeria-Besitzer
holt uns in sein Lokal und backt Pizza für uns. Eine Gemeinde-Referentin
veranlaßt, daß wir auf dem Pfarrfest Kaffee und
Kuchen erhalten. - Wir sind wohl noch nicht heruntergekommen
genug und strahlen wohl auch etwas anderes aus als die Menschen,
die auf der Straße leben müssen.
Ferner bitte ich darum,
daß durch den Empfang dieses Mahles all Eure Leiden beendet
werden und Ihr befreit werdet, sodaß Ihr voller Freude
wiedergeboren frei auf den Feldern des Reinen Landes spielen
werdet.
„Du hast nichts, dann bekommst du was, dann ißt
du es, und dann hast du wieder nichts“, beschreibt ein
Teilnehmer knapp und treffend unsere Erfahrung. Nichts zu haben,
ist - auch da ein ganz wesentlicher Unterschied zu den Menschen
auf der Straße - erleichternd für uns. Wir leben
im gegenwärtigen Augenblick, haben viel Ballast hinter
uns gelassen. Einfache Fragen stellen sich: Wo kann man sich
im Warmen hinsetzen, ohne verjagt zu werden? Wo kann man etwas
Warmes trinken? Wo kann man umsonst aufs Klo gehen?
Jene, die den Weg zuerst
verwirklichen, bitte gelobt, alle anderen in Raum und Zeit zu
befreien.
Mehrmals täglich versammeln wir uns zu gemeinsamem Zazen.
Auch nehmen wir an Gottesdiensten verschiedener Traditionen
teil: in der Sakramentskapelle des Kölner Doms, in der
Kölner Synagoge, bei den Franziskanern und der Heilsarmee
in Düsseldorf. - Einige der buddhistischen Mönche
und Nonnen gehen zur Kommunion. Manche zum ersten Mal seit Jahrzehnten.
Mit dieser Praxis wünsche
ich aufrichtig, all meine Liebe auszudehnen auf mich selbst,
meine Freunde, meine Feinde, meine Familie, meine Gemeinschaft
und auf alle Schöpfungen, die so viel für mich getan
haben.
Was bleibt?:Dankbarkeit für die Erfahrungen auf der Straße.
Die Verpflichtung, einfache, konkrete Maßnahmen zur Linderung
der Not der Menschen auf der Straße zu ergreifen. Der
Wunsch, möglichst vielen Menschen die Praxis des Straßen-Sesshins
zugänglich zu machen.
Mögen die, die in
diesem Bereich praktizieren, wachsen an Kraft, Wert und Freude.
Mögen die, die gegangen sind, vom Leid erlöst werden
und Friedfertigkeit hegen.
Mögen alle Schöpfungen in den drei Welten liebevolle
Wohltaten empfangen.
Mögen die, die auf den drei Pfaden leiden, zur Versöhnung
kommen und von all ihren Übeln gereinigt werden.
Mögen sie von Samsara befreit werden und gemeinsam im Reinen
Land auferstehen.
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