HINWEIS:
Wörter sind wie Finger, die auf etwas hindeuten. Das Lesen
von Wörtern ersetzt nicht die eigene Erfahrung.
Schlachthof
in Wachtendonk (Niederrhein)
Über 100
Schweine werden von Bauern und Viehhändlern
im Schlachthof abgeliefert. Die Entladung
der Tiere erfolgt je nach Anlieferer eher
behutsam oder eher brutal. „Ob die Schweine
noch Schwänze haben zeigt, ob sie gut
gehalten wurden. Schweine, die schlecht gehalten
werden, fressen sich gegenseitig die Schwänze
ab,“ erläutert der Leiter des Schlachthofs.
KANZEON Avalokiteshvara, die die Schreie der Welt hört,
Wir neigen dazu, unsere Ohren vor den Schreien der Welt zu verschließen.
Damit verschließen wir uns vor einem wichtigen Teil der
Wirklichkeit, dem Teil, der unserer Hilfe bedarf.
Avalokiteshvara, japanisch Kanzeon, hört hin, hört die
Schreie. Und hilft.
NAMU BUTSU nimmt Zuflucht zu Buddha,
Wie können wir in Anbetracht all des Leids
und Elends auf der Welt unsere Ohren (und Augen) offen halten?
Wie können wir verhindern, dass wir abstumpfen? Wie können
wir immer wieder für die da sein, die unserer Hilfe bedürfen?
Die Zufluchtnahme zu Buddha, zu seiner Lehre und zu der Gemeinschaft
derer, die diese Lehre praktizieren, stärkt uns auf diesem
Weg.
Die Gelübde des Bodhisattva, des Wesens, das sich auf dem
Weg zur Buddhaschaft befindet, zeigen den Weg auf:
• Unzählig sind die lebenden
Wesen.
Ich gelobe, sie alle zu befreien.
• Unerschöpflich sind die leidschaffenden Täuschungen.
Ich gelobe, sie alle zu überwinden.
• Unermesslich sind die Pforten des Dharma.
Ich gelobe, sie ganz zu durchdringen.
• Unbegrenzt ist der Buddha-Weg.
Ich gelobe, ihn ganz zu verwirklichen.
YO BUTSU U IN wird Buddha,
Aber die Zuflucht zu nehmen, die Gelübde abzulegen und sie
verwirklichen zu wollen, reicht nicht. Es bedarf auch einer kontinuierlichen
Praxis. In Zazen, der sitzenden Haltung Buddhas, werden wir selbst
zu Buddha. Wir erleben, dass wir nicht getrennt sind von unseren
Mitmenschen, von Pflanzen, von Tieren, von Bergen, von Flüssen.
Aus diesem Erleben der Ungetrenntheit heraus, bekommt unser Handeln
eine andere Qualität: Wir handeln nicht, um ein bestimmtes
Ziel zu erreichen, sondern unser Handeln ist Ausdruck gelebter
Einheit.
YO BUTSU U EN hilft allen, Buddhas zu sein,
Um den Buddha-Weg zu gehen, ist Vertrauen erforderlich. Vertrauen
darauf, dass wir selbst die Fähigkeit haben, Buddha zu werden
und wie ein Buddha zu handeln. Das Vertrauen in Avalokiteshvara,
in Kanzeon, kann uns dabei eine Hilfe sein.
BUP PO SO EN ist nicht getrennt von Buddha, Dharma, Sangha,
Wenn wir uns Augenblick für Augenblick bemühen, hier
und jetzt zum Wohle aller lebenden Wesen zu handeln, sind wir
nicht allein: Wir befinden uns in der Gemeinschaft mit Buddha,
mit seiner Lehre und mit allen, die ihr Verhalten in den vergangenen
Jahrhunderten an dieser Lehre ausgerichtet haben, mit allen, die
dies gegenwärtig tun, und mit allen, die dies in Zukunft
tun werden.
JO RAKU GA JO ist ewig, vertraut, rein und voll Freude.
Unser Handeln macht uns zu dem, was wir sind: Wenn wir nur uns
selbst sehen, sind wir selbstsüchtig. Wenn wir das Wohlergehen
aller in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen, sind wir selbstlos.
Selbstlosigkeit macht unser Handeln rein und kann uns mit tiefer
Freude erfüllen.
CHO NEN KANZEON Am Morgen, sei eins mit Avalokiteshvara,
Schlachthof
in Wachtendonk (Niederrhein)
Die Schweine
werden einzeln in eine Schleuse zur Schlachtung
getrieben. Sie gehen durch ein Tor. Auf der
anderen Seite greift der Schlachter mit einer
Betäubungszange nach ihnen. Sie erhalten
einen Elektroschock und kippen um.
Ein Stich und sie sind tot.
Während
ein Schwein nach dem anderen getötet
und anschließend zerlegt wird, sitzt
in einem Nebenraum ein Gruppe von Personen
und praktiziert Zazen.
Am Tag zuvor
haben wir uns, als keine Schlachtungen mehr
stattfanden, den Vorgang der Schlachtung von
dem Leiter des Betriebes erklären lassen
und Fragen dazu gestellt.
Heute morgen
sind wir während der Schlachtung im Betrieb.
Wir sehen, die Schweinehälften, die in
die Kühlung kommen;
wir sehen, wie die Schweine zerlegt werden;
wir sehen, wie die Innereien herausgetrennt
werden;
wir sehen, wie die Borsten abgeflämmt
werden; wir sehen, wie ein Schwein nach dem
anderen getötet wird;
wir sehen die Schweine, die als nächste
getötet werden.
Wir sehen die Menschen und das, was einmal
Tiere waren.
Wir sehen die Menschen und Tiere.
Wir riechen das Blut.
Wir hören das Töten.
Nun sitzen
wir schweigend in der Haltung Buddhas.
Nebenan geht das Töten weiter.
Nach dem Zazen rezitieren wir das
ENMEI JUKKU KANNON GYO, das Sutra vom grenzenlosen
Leben Avalokiteshvaras.
Für jedes
getötete Schwein einmal.
BO NEN KANZEON am Abend, sei eins mit Avalokiteshvara,
Wir können nicht verhindern, dass getötet wird, dass
Menschen anderen Menschen und anderen Lebewesen Leid zufügen.
Aber wir können unsere Ohren, Augen und Herzen öffnen
für die Leidenden – und für diejenigen, die Leid
zufügen. Wir können erfahren, dass wir nicht getrennt
sind, das wir eins sind, sowohl mit denen, die leiden, als auch
mit denen, die leiden lassen.
Über all unsere geistigen Kategorien hinauszugehen, uns
auch in denen wahrzunehmen, deren Verhalten wir ablehnen, bedeutet
eins zu sein mit Avalokiteshvara, bedeutet nicht getrennt sein
von Buddha, Dharma, Sangha.
NEN NEN JU SHIN KI deren Herz, Augenblick für Augenblick,
entsteht,
Schlachthof
in Wachtendonk (Niederrhein)
Nach der Rezitation
gehen wir in die Kantine des Schlachthofs.
Die Schlachter haben ihre Arbeit hinter sich.
Gespräche über die Familie, die
Kinder, über das Auto, das Macken hat.
Feierabend-Gespräche. Sie erkundigen
sich nach uns, fragen, warum wir da sind,
was wir machen. Wir begegnen uns von Mensch
zu Mensch, hören einander zu.
Wir leben nur
in diesem Augenblick (und diesem, und diesem,
und diesem). Aber oft können wir nicht
wirklich in diesem Augenblick leben, weil
wir mit der Vergangenheit oder der Zukunft
beschäftigt sind, weil unsere Hoffnungen
und Wünsche, unsere Meinungen, Vorurteile
und Urteile uns den Blick verstellen.
In der Praxis
von Zazen üben wir, immer wieder eins
zu werden mit dem gegenwärtigen Augenblick,
zu sehen, was jeder Moment zu bieten hat und
ihn willkommen zu heißen, jenseits als
unserer Wertungen.
NEN NEN FU RI SHIN deren Herz, Augenblick für Augenblick,
verweilt.
Manchmal können wir direkt eingreifen, können helfen,
können Leiden verringern. Oft ist dies nicht möglich.
Aber wir können die Schreie der Welt hören: Hören,
wenn jemand die Worte fehlen, in die er seine Not kleiden kann.
Hören, wenn jemand seine Not hinter Worten verbirgt. Hören,
sehen, fühlen …, dass wir nicht getrennt sind.
Und aus diesem Erleben heraus unser Herz öffnen.
Für alle. Unterschiedslos.
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