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Auschwitz - Ort des Leidens, Ort der Heilung

 

Machmal habe ich in tiefer Meditation den Eindruck, das erschreckende Weinen einer katastrophalen Zukunft zu hören, das uns aufwecken und zu einem Kurswechsel bewegen möchte. Es scheint fast zu spät zu sein, denn die Technik des Zerstörens ist weit fortgeschritten und die Technik, Frieden zu schaffen, wenig entwickelt. Die Entfernung zwischen dem, was ist, und dem, was es zu verhindern gilt, ist zu weit. Wer kann seinen Alltag leben und angesichts eines solchen Drucks bewußt und achtsam bleiben?

Reb Zalman Schachter-Shalomi

Im Arbeits- und Vernichtungslager Auschwitz kam in den Jahren 1940-1945 etwa 1 Million Menschen ums Leben. Auschwitz war ab 1943 in drei Lager gegliedert: Auschwitz 1 mit durchschnittlich 18.000 Häftlingen, Birkenau (Auschwitz 2) mit durchschnittlich 36.000 Häftlingen und Monowitz (Auschwitz 3) mit durchschnittlich 15.000 Häftlingen. Die meisten Menschen wurden direkt nach ihrer Ankunft mit dem Zug in die Gaskammern des Lagers Auschwitz-Birkenau getrieben und dort ermordet. Die anderen starben an den Folgen von medizinischen Experimenten, Unterernährung, unmenschlichen Arbeitbedingungen, Krankheiten und Epedemien.

Heute ist das Arbeits- und Vernichtungslager Auschwitz Museum und Gedenkstätte. „Das Lager, das auch die Ruinen der Krematorien und der Gaskammern umfaßt, hat große Bedeutung für das Verständnis der Mechanismen des Völkermordes. Das bekannteste Konzentrations- und Todeslager im besetzten Europa hat ebenfalls eine klare moralische Dimension: Es ist ein Ort des Nachdenkens, des Gebets und auch der Ort, an dem der Opfer ehrend gedacht wird, deren Asche hier verstreut ist. Auschwitz-Birkenau ist der größte Friedhof der Welt“, schreibt der Leiter der Gedenkstätte, Waclaw Dlugoborski.

Im Dezember 1994 wurde des 50. Jahrestags der Befreiung des Vernichtungslagers und der Befreiung der wenigen Überlebenden gedacht. Bei dieser Gelegenheit gab der amerikanische Zen-Meister Bernhard Tetsugen Glassman Roshi dem Vietnam-Veteranen und Friedens-Aktivisten Claude Anshin Thomas die Bodhisattva-Gebote. Während Glassman Roshi Kinhin in den Ruinen von Birkenau praktizierte, Kerzen vor der Erschießungsmauer anzündete, während er Claude die buddhistischen Bodhisattva-Gebote an den Stufen des Krematoriums gab, entschloß er sich, 1996 ein Retreat in Auschwitz durchzuführen.

In der Zeit vom 24.-29.11.1996 trafen sich etwa 150 Menschen, die sich jüdischer, buddhistischer, christlicher oder islamischer religiöser Tradition verpflichtet fühlen, in der Gedenkstätte Auschwitz. Gemeinsam war ihnen der Wunsch, sich für das Leid zu öffnen. das in Auschwitz manifest wird. Vor allem für das Leid der Ermordeten und das Leid ihrer überlebenden Angehörigen, aber auch für das Leid der Mörder und ihrer Angehörigen.
„Einst suchte ich die Einsamkeit, distanzierte mich von menschlichem Kontakt und Einfluss, damit ich allein sein konnte mit Auschwitz. Heute aber hat sich Auschwitz vor jede Haustür geschleppt. Wo immer Menschen sind, da ist Auschwitz“, schreibt der ehemalige Auschwitz-Häftling Ka-Tzetnik 135633 in seinem Buch ‘Shivitti’, einem Text, der dem Treffen zugrundelag.

Jeden Morgen gingen die Teilnehmenden von Auschwitz 1 aus zu Fuß drei Kilometer nach Birkenau. Auf der Selektionsrampe, auf der früher entschieden wurde, wer sofort in den Gaskammern ermordet und wer durch Arbeit ermordet werden sollte, wurde ein Dojo eingerichtet. In ihm fanden bei Temperaturen unter 0 Grad und teilweise leichtem Schneefall täglich drei Meditationen statt. Es war jedoch kein stilles Zazen, sondern Zazen mit gleichzeitigem Kito: Während des Sitzens verlasen die Teilnehmenden abwechselnd die Namen von insgesamt mehreren tausend Ermordeten. Namen von Menschen, deren Name vielleicht zum letzten Mal bei der Selektion oder beim Appell aufgerufen worden war, - nun jedoch in ehrendem Gedenken. Nur die letzte Phase des Zazen verlief schweigend.
Zwischen den einzelnen Meditationen wurde gemeinsam das Kaddisch, das jüdische Totengedenken gebetet. Darüberhinaus hielten die Mitglieder der verschiedenen religiösen Traditionen eigene und gemeinsame Zeremonien ab.
In der Offenheit für diesen Ort des Grauens, in der Rezitation der Namen von Ermordeten wurde für die Teilnehmenden das Leid konkret, spürbar, empfindbar. Verbindung zu eigenem Leid wurde hergestellt.
Am frühen Morgen, vor dem Gang nach Birkenau, gab es Gespräche in kleinen Gruppen, am Abend Gespräche im Plenum. Diese erlaubten es, den eigenen Gefühlen und Erfahrungen Ausdruck zu verleihen. Die Möglichkeit, über das eigene Leid zu sprechen, z.B. das Leid, während des Faschismus Verwandte im Holocaust verloren zu haben, oder das Leid, Familienangehörige unter den Mördern zu wissen, wurde von vielen Teilnehmenden als befreiend empfunden.

So war Auschwitz nicht mehr nur ein Ort der Trauer, sondern zugleich auch ein Ort der Heilung.

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