Sobald
wir über etwas Bescheid zu wissen glauben, machen wir dadurch
einen anderen Verlauf der Dinge unmöglich. Sobald wir nicht
mehr aus dem Nichtwissen heraus leben, fixieren wir unsere Situation
so, dass wir das unablässige In-Erscheinung-Treten der Dinge
und Ereignisse nicht mehr zu erleben vermögen. Die Dinge geschehen
aber und nichts bleibt so, wie es ist. Indem wir jedoch Vorstellungen
darüber hegen, was unserer Meinung nach geschehen sollte, hindern
wir uns daran zu sehen, was tatsächlich geschieht. Uns entrüstet,
wenn unsere Erwartungen sich nicht erfüllen. Gelingt es uns
hingegen, sie loszulassen, befinden wir uns im Einklang mit dem,
was in Erscheinung tritt.
Manchmal benutzen wir die Redensart: ”Den Dingen ihren
Lauf lassen.” In Wahrheit bleibt uns auch gar nichts anderes
übrig, als dies zu tun. Wir haben einfach letztendlich keinen
Einfluss auf das, was geschieht: Es kommt, wie es kommt. Wenn
wir uns im Zustand des Nichtwissens befinden, haften wir nicht
an festen Vorstellungen darüber, wie die Dinge sein sollten.
Wir erwarten weder einen bestimmten Gewinn noch einen eventuellen
Verlust. Es ist einfach da, was da ist.
Ich empfehle immer wieder, keine Warum-Fragen zu stellen, denn
diese tragen den Wunsch, dass wir wissen wollen, in sich. Außerdem
zeugen sie von unserer Angst oder unserem Zaudern, mit den Dingen
umzugehen. Als Mitglieder der Peacemaker Gemeinschaft üben
wir, im Zustand des Nichtwissens zu leben, statt im Zustand des
Wissens. Und das ist sehr, sehr schwierig. Viele unserer Mitglieder
arbeiten seit langem in sozialen Projekten und haben ein großes
Wissen und viel Erfahrung in der Stadtteilarbeit, dem Umweltschutz,
in Erziehung, Wirtschaft und Kunst. Früher folgten sie gewöhnlich
der Maxime, dass man bessere Leistungen durch ein Mehr an Wissen
erzielen könne: Sie glaubten, mehr zu wissen würde die
Dingen automatisch verändern. In der Peacemaker Gemeinschaft
üben sie sich im Nichtwissen, im Verlernen von Konditionierungen
und Vorurteilen darüber, wie man am besten für den Frieden
arbeiten könnte.
Wir wollen Menschen nicht dazu bringen, dass sie ihre beruflichen
Fähigkeiten und ihr Wissen gering schätzen. Wir fordern
sie sogar ausdrücklich auf, ihre Kenntnisse zu nutzen. Und
wir helfen ihnen, die Offenheit zu entwickeln, die Dinge so zu
sehen, wie sie sind, den Fluss des Lebens unabhängig von
Erwartungen und Einschränkungen zu verfolgen. Ein wichtiges
Prinzip unserer Gemeinschaft lautet: Studium und Praxis sind eins.
Wir bemühen uns um Wissen, ohne uns von diesem Wissen beherrschen
zu lassen.
Das ist keineswegs einfach. Wir wollen unablässig wissen.
Als Menschen können wir einfach nicht anders. Offenbar kennzeichnet
es unsere menschliche Existenz zu glauben, die Tatsache, dass
es irgendwo auf der Welt irgendein Wissen gibt, das wir uns noch
nicht zu Eigen gemacht haben, hindere uns daran, glücklich
oder erfolgreich zu sein. Wir meinen, wir könnten zu Glück
und Erfolg gelangen, wenn wir uns dieses Wissen mit Hilfe des
richtigen Buches, der richtigen Religion, des richtigen Lehrers
oder der richtigen Arbeit aneigneten. In der Peacemaker Gemeinschaft
üben wir das Loslassen; nicht indem wir unser Wissen gering
schätzen oder es völlig zu vergessen versuchen, sondern
indem wir unsere Anhaftung daran loslassen. Das ist ein wichtiger
Unterschied. Wir wollen in allen Lebensbereichen für den
Frieden arbeiten und müssen uns deshalb aller
Nicht wissen ist entscheidend für jeden Genesungsprozess.
Auch für Friedensstifter ist Nicht wissen von entscheidender
Bedeutung. Wir müssen zwar Wissen und Erfahrung sammeln,
aber die ”Schiefertafel” auch wieder abwischen und
immer wieder neu in den Zustand des Nichtwissens eintreten. Denn
nur wenn wir dies tun, können wir teilhaben.